„Patina hilft, die Trauer zu bewältigen“

GRABMÄLER Der Hannoversche Steinmetz Uwe Spiekermann plädiert nicht nur aus politischen Gründen bewusst für heimische Materialien. Sondern auch, weil ein bemooster Heidefindling quasi natürlich altert und die Hinterbliebenen ins Leben zurückschickt

■ 48, Steinbildhauermeister und Dozent, hat an verschiedenen Künstlersymposien teilgenommen und die „Herbstzeitlosen-Initiative für Grabzeichen“ sowie das Internetprojekt Grabmalportal.de gegründet. Foto: privat

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr Spiekermann, wollten Sie schon als Kind Steinmetz werden?

Uwe Spiekermann: Ja, das hat mir mein Vater in die Wiege gelegt. Ich bin quasi in seiner Werkstatt aufgewachsen und konnte dann einfach nicht „Nein“ sagen. Deshalb habe ich gegen den Rat meiner Lehrer kein Abitur gemacht und bin nach der 10. Klasse in die Werkstatt gegangen. Mein Vater ist dann verstorben, als ich erst ein halbes Jahr lang Geselle war, sodass ich die Werkstatt allein weiterführen musste. Das war schwer, bedeutete aber auch, dass ich mich in meiner Formensprache niemandem beugen musste.

Welches ist Ihr Markenzeichen?

Ich habe mich wegentwickelt von den traditionellen Grabmal-Stelen und binde etliche künstlerische Elemente ein. Wichtige Impulse kommen auch von meinen Kunden: Es sind sind oft Menschen, die mit unzeitigem Tod konfrontiert werden und Grabmale für Kinder, Jugendliche und junge Menschen wünschen. Sie können sich oft nicht anfreunden mit herkömmlichen Grabmälern. Sie kommen zu mir und sagen: Ich weiß nicht genau, was ich möchte, aber es soll nicht aussehen wie ein Grabstein.

Wie schaffen Sie das?

Ich versuche mich an einem Grabmal, in dem man den Verstorbenen wiedererkennt, um ihm leichter begegnen zu können. Schlicht gesagt: Ein kantiger Mensch bekommt einen kantigen Stein, ein romantischer Mensch einen romantischen.

Dafür müssen Sie viel über den Verstorbenen wissen.

Ja. Ich führe lange Gespräche mit den Hinterbliebenen.

Wie verlaufen sie?

Unterschiedlich. Einige wollen sofort reden, andere wollen erstmal schauen. Meist zeige ich ihnen Grabmäler, anhand derer ich die Lebensgeschichten der Verstorbenen umgesetzt habe. Das animiert die Menschen, mir ihre Geschichte zu erzählen, sodass ich mir ein Bild des Verstorbenen machen kann.

Fallen Ihnen die Gespräche mit den Trauernden nicht schwer?

Doch. Viele weinen, und oft weine ich mit. Es ist eine emotionale Tätigkeit, aber auch eine sehr nachhaltige. Oft kommen Trauernde – etwa von der Selbsthilfegruppe „Verwaiste Eltern“ zu mehreren zu mir und sagen mir später, dass ihnen diese Prozesse sehr helfen. Dass ich als Grabmal-Gestalter ihre Trauerarbeit positiv unterstützen kann, weil ich versuche, zum Ausdruck zu bringen, dass etwas zurück bleibt und wir lernen müssen, damit zu leben.

Sie sprachen von Materialien. Welche Steinarten bevorzugen Ihre Kunden?

Bis vor 20 Jahren vor allem schwarze, graue und rote granit-ähnliche, polierte Materialien, wie sie auf etlichen Friedhöfen stehen. Inzwischen sagen viele, dass sie so etwas nicht wollen. Ich schlage ihnen dann Materialien aus der Region vor: zum Beispiel Oberkirchener Sandstein, wie er sich vor den Toren Hannovers findet. Den gibt es in einzigartigen Färbungen – in Ocker-, Beige- und Gelbtönen. Auch aus politischen Gründen bevorzuge ich regionale Materialien.

Warum?

Weil die vielen Hartgesteine aus Indien und China, die derzeit den Markt überschwemmen, nicht immer frei vom Verdacht der Kinderarbeit sind. Es gibt zwar ständig neue Gütesiegel, aber ich kann das letztlich schwer prüfen. Abgesehen davon, weiß ich nicht, ob in diesen Ländern mit den Ressourcen so ökologisch und nachhaltig umgegangen wird wie im europäischen Raum.

Wie pflegeleicht sind Ihre Steine?

Allgemein gelten ja die erwähnten polierten Steine als pflegeleicht. Sie sind aber auch steril – eben, weil sie nicht altern, sich niemals in die Natur eingliedern. Wenn Sie dagegen einen typischen Heide-Findling nehmen, der komplett mit Moos überzogen ist, kommt man gar nicht erst auf die Idee, ihn zu putzen. Die Verwitterung naturnaher Oberflächen gilt ja auch nicht als Schmutz, sondern als Patina, und die hat einen hohen Symbolgehalt: Patina drückt aus, dass die Hinterbliebenen ins Leben zurückgeschickt werden. Es wächst im wahrsten Sinne des Wortes Gras über die Sache. Das ist eine Symbolik, die ich für die Trauerbewältigung sehr wichtig finde.

Andererseits geht der Trend zur naturnahen Bestattung.

Es gibt in der Tat eine Neigung zu Friedwald-ähnlichen Ruhestätten, zur baumnahen Beisetzung, anonymen Grabstellen oder Rasen-Reihengräbern. Dort liegt dann nur noch eine Platte im Rasen, und der Rasenmäher fährt darüber. Es gibt aber auch die Gegenbewegung derer, die sagen: Das ist mir zu unpersönlich, ich kann im Wald oder auf der Wiese keine Trauer-Rituale ausleben. Ich kann keine Blumen dort ablegen, keine Kerzen hinstellen, denn die nimmt der Gärtner oder Förster weg ...

Sie haben ein sehr persönliches Grab für das Findelkind Mose geschaffen: Ein stilisiertes Boot auf hellem Stein.

Ja. Es ging dabei um einen Jungen, der im Januar 2008 vor einer Babyklappe in Hannover abgelegt wurde. Das Schreckliche war, dass die Klappe klemmte, sodass die Mutter ihren Sohn davor ablegte. Leider war es eine sehr kalte Nacht. Mose wurde erfroren gefunden. Seinen Namen hat er dann von der ehemaligen hannoverschen Landesbischöfin Margot Käßmann bekommen, die sich der Sache annahm.

Warum Mose?

Wegen der Parallele zum biblischen Findelkind Mose, das auf einem Schächtelchen auf dem Nil ausgesetzt und von einer Pharaonin gefunden und großgezogen wurde.

Wie sind Sie künstlerisch mit der Geschichte umgegangen?

Da ich ja keine persönliche Information über den Jungen hatte, konnte ich mich nur an dem Namen orientieren. Ich habe mir dann die Freiheit genommen, anstelle eines Schächtelchens ein Boot darzustellen, das aber – genau wie Mose – abgelegt ist.

Wo?

Auf hellem Untergrund, den man als Sand oder vielleicht Watt deuten könnte. Dort wartet er auf die Flut. Auf Erneuerung. Wie Mose.

Haben Sie mit dem Boot bewusst ein christliches Symbol gewählt?

In diesem Fall schon. Abgesehen davon ist das Boot ein uraltes Motiv in der Bestattungskultur vieler Völker. Im alten Ägypten fuhr eine heilige Barke den Verstorbenen über den Nil. Auch die griechische Mythologie kennt das Boot als Vehikel ins Jenseits.

Ihre Kiesel-Stele sieht dagegen eher buddhistisch aus.

Möglich. Ich habe aber auch das Thema Kiesel mitgedacht, das zur jüdischen Bestattungskultur gehört. Besucher jüdischer Friedhöfe legen ja zum Zeichen des Gedenkens Kiesel auf die Grabmäler. Ich habe das Thema noch erweitert: Der Sockel ist eckig, nach oben hin folgen Kiesel, die immer weniger eckig sind; der oberste ist perfekt rund.

Warum?

Ich habe den Wandel vom Leben zum Tod mitgedacht: Am Lebensende kommt der Mensch – durch Erfahrung geschliffen wie ein Flusskiesel durchs Wasser – bei seinem Ursprung an.

www.kh-spiekermann.de