FRISCHE LUFT: Endlich raus
Endlich Tapetenwechsel. Mal wieder raus aus Berlin, auftanken, wenn auch bloß für ein langes Wochenende. Rad fahren an der Havel. Von Ketzin aus über kleine Dörfer, an Brandenburg vorbei bis nach Havelsee. Natur und jede Menge frische Luft. Kurz nach neun sitzen wir gutgelaunt im Sattel und strampeln los. Nach einer Stunde sind wir bereits mächtig am Schnaufen. Wind, ununterbrochen – und gefühltermaßen immer direkt von vorne. Aber wir sind tapfer.
In drei Stunden lassen wir ganze elf Kilometer hinter uns. Und zwei Krämpfe. So sehr mein Herz sich auch danach sehnt, der restliche Körper meldet: Du bist auch nicht mehr der Jüngste. Meiner Frau geht es ähnlich. Aber noch geben wir nicht auf. Mal radelt sie in meinem Windschatten, mal ich in ihrem. Als wir auf einer Bank eine Pause machen, beobachten wir ein paar Kinder, wie sie im Wind ihre Drachen steigen lassen. Plötzlich zündet in meiner Frau eine Idee. „Sind wir eigentlich bescheuert? So machen wir’s auch!“ Ab sofort geht es einfach in jene Richtung, in die der Wind bläst. Egal, wo wir abends rauskommen. Hier auf dem Land ist es ohnehin überall schön, warum sich also dermaßen abrackern?
In einem 800-Seelen-Dorf mit Geranien vor den Fenstern landen wir schließlich. Im Gasthof „Wilde Ente“, oben im dritten Stock, und freuen uns wie bekloppt über die große Badewanne im Zimmer, während unten bereits die Ersten aus dem Wirtshaus torkeln und nicht recht nach Hause wollen. Kaum aus der Wanne, abgetrocknet und wohlig durchflutet, setze ich mich ans Fenster. Draußen im Licht der Laterne sehe ich, wie sich der Wind austobt in den Bäumen, und ein paar Vögel, die sich treiben lassen. Schön, so ein Tapetenwechsel, denke ich, und blicke hinaus in den Himmel. Unten in der Stube wird gegrölt und gesungen. Gläser gehen zu Bruch. Die wilde Ente wird langsam unruhig. JOCHEN WEEBER
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