Operation Grüne Hand

TATENDRANG Kann eine Elfjährige Aktivistin sein? Tomke und ihre Freundinnen würden Ja sagen

„Wir müssen heute schon an morgen denken. Wir kriegen das ja später alles ab“

TOMKE, SCHÜLERIN

VON FELIX ZIMMERMANN

Als Fukushima zum Begriff für die Unbeherrschbarkeit der Atomkraft wurde, saßen sie nichts ahnend im Wohnzimmer des Hauses, das ihr wichtigster Treffpunkt geworden ist. Sie wollen die Welt retten – und wollen es seit Fukushima noch viel dringlicher. Jetzt erst recht, dachten sie sich und holten die Transparente wieder heraus, die sie vor Monaten für die Demo in Gorleben gemalt hatten. Sie fuhren dann ein paar Tage später nach Berlin und nahmen an der großen Anti-Atomkraft-Demo vor dem Bundeskanzleramt teil. Ihre zu Liedern gefassten Slogans sangen sie lauter als je zuvor. Fukushima war die brutale Bestätigung dessen, was ihnen Angst macht. Jetzt werden sie versuchen, die Leute, die sie erreichen können, mitzureißen. Zu Hause, in der Nachbarschaft, in der Schule. Das stärkste Argument steht in Japan, der Ausgang der Lage dort ist ungewiss, sie verbreitet weiter Angst.

Tomke und Paula, Lara, Johanna und Katharina heißen sie – die Ältesten vierzehn, die Jüngste elf Jahre alt –, das Wohnzimmer des Elternhauses von Johanna ist so etwas wie die Zentrale ihrer Organisation, mit der sie wenigstens einen kleinen Beitrag dazu leisten wollen, dass sie, die jetzt noch Kinder oder Jugendliche sind, später in einer besseren Welt leben können. „Wir müssen heute schon an morgen denken“, sagt Tomke, die, wie ihre Mitstreiterinnen, auf die Waldorfschule geht, „wir kriegen das ja später alles ab.“ Sie wollen das gemeinsam machen und auch daran denken, „dass wir auf einer Welt leben“, die nur gerettet werden kann, wenn alle mithelfen. Sie wissen, dass sie sich ein großes Ziel gesetzt haben, sie ahnen, dass es mühselig wird. Aber deshalb gar nichts zu machen? Nein, das kommt nicht infrage. Katharina zitiert Henning Mankell. „Der hat gesagt: ‚Man kann nicht der ganzen Welt helfen, aber das ist kein Grund, niemandem zu helfen.‘ “

Deshalb haben sie sich zum Greenteam Together zusammengeschlossen. Greenteams sind Jugendgruppen, die unter dem Dach von Greenpeace gegründet werden können. 1.200 Teams gibt es, sie sind locker angebunden an die große Umweltschutzorganisation, die darin eine „Plattform für Engagement“ sieht, wie es Lydia Ehrler ausdrückt, die bei Greenpeace die Greenteams betreut. Sie gibt Starthilfe, in einer Mappe, die jedes Team bekommt, stehen Tipps, wie man Infostände organisiert, wie man Kampagnen mit einfachen Mitteln planen kann; vierteljährlich kommt das Magazin Greentime ins Haus, in dem Geschichten über Aktionen anderer Greenteams stehen. Wofür sich die Greenteams genau engagieren, entscheiden sie selbst.

Tomke und Johanna haben sich mit ihren Freundinnen im vergangenen Herbst zusammengeschlossen. Sie waren in Gorleben auf der Castor-Demo, sangen ihre Protestsongs und hielten selbst gemalte Transparente hoch, dann kam jemand von Greenpeace und malte ihre Hände grün an, danach war klar, dass sie sich der Organisation anschließen wollen. Bis dahin hatten sie vor allem von einer Lehrerin viel über Umweltprobleme erfahren; nach der Castor-Demo, sagt Johanna, wollten sie selbst etwas machen.

Seitdem sind sie vor allem in der Nachbarschaft aktiv geworden. Weil viele Leute Schnee und Eis mit Streusalz bekämpfen wollten, haben sie die Kampagne „Salz killt, Sand chillt“ initiiert. Handgemalte Zettel verteilten sie überall dort, wo der Schnee unter Streusalzeinfluss zu einer breiigen Pampe geworden war. Der Text, den sie dazu geschrieben haben, enthält viele Ausrufezeichen, er drückt ein ernstes Anliegen aus. „Viele Leute streuen Salz, dass ist aber sehr schlecht.“ Grundwasser wird verschmutzt, Pflanzen gehen ein, Fische sterben – „also ab heute nur noch Sand oder Steinchen streuen!“.

Beim Red Hand Day am 12. Februar, einem Aktionstag gegen Kindersoldaten, der mit ihrem Schulfest zusammenfiel, haben sie über den Missbrauch von Kindern als Soldaten informiert und rote Handabdrücke auf einer langen Tapetenrolle gesammelt. Die Rolle haben sie zu einem Paket geschnürt und an Angela Merkel geschickt. In einem Brief fordern sie die Bundeskanzlerin auf, dass auch sie etwas gegen Kindersoldaten unternimmt. Und wenn sie keine Antwort aus dem Kanzleramt bekommen? „Dann schreiben wir nochmal“, sagt Johanna. In der Greenteam-Mappe steht, dass man hartnäckig sein soll.

Eine Unterschriftenaktion gegen Atomkraft bereiten sie gerade vor, sie recherchieren, um eine Kampagne gegen die Massentierhaltung zu machen, in der Schule sammeln sie Geld, um ein Stück Regenwald zu kaufen.

Die Eltern sagen, dass sie es toll finden, wie aktiv ihre Kinder sind. Manchmal scheinen sie darüber erstaunt zu sein, wie ernst es ihnen ist und wie beharrlich sie sind. Johannas Eltern etwa, die sich selbst dem linken, bewussten Spektrum zurechnen, haben erst durch das stetige Nachfragen ihrer Tochter den Stromanbieter gewechselt. Und der Vater, der mit einigen anderen die Kinder nach Gorleben begleitet hat, sagt: „Ohne den Impuls der Kinder wären wir nicht gefahren.“ Heute zeigt er mit dem Stolz des Mitdemonstranten die Fotos aus dem Wendland.

So jung und so engagiert, könnte man denken, kann das denn gut gehen? Und wenn das die Eltern auch noch toll finden, o weh, droht dann nicht eines Tages das Abdriften ins genaue Gegenteil, um sich abzugrenzen, um den eigenen Weg zu finden?

Die Psychologin Elisabeth Raffauf hat sich mit diesen Fragen beschäftigt. Sie berät Kinder und Jugendliche und die Eltern Pubertierender, sie gehört der Kummerkastenredaktion des Kinderkanals Kika an – und gibt Entwarnung. Kinder seien ja keine Automaten: „Wenn man A macht, kommt nicht unbedingt B heraus. Das ist beruhigend“, sagt sie. Wenn Kinder und Jugendliche ihr Engagement selbst steuern und reflektieren, sich aus eigenem Antrieb für etwas einsetzen, der Impuls also von ihnen ausgeht, dann ist mit einer Rebellion gegen diese Haltung aus Abgrenzung kaum zu rechnen. „Weil die Kinder das so wollen, unabhängig von den Eltern“, sagt Raffauf. „Und diese Kinder legen oft sogar noch einen Tacken drauf, weil die Eltern in ihren Augen zu träge sind.“ So wie Johanna ihre Eltern zum Wechsel des Stromanbieters drängte.

Neben der Autonomie ist die Haltung der Eltern zum Engagement der Kinder entscheidend. Wenn sie es ernst nehmen, ist das in Ordnung. Wenn sie dagegen verlangen, dass sich die Kinder politisch für oder gegen etwas engagieren und dogmatisch das Einhalten der korrekten Verhaltensweisen überwachen, ist es viel eher so, dass die Kinder eines Tages rebellieren. „Wenn es freudlos zugeht und jeder Ausreißer sanktioniert wird, wird Widerspruch erzeugt, das fordert heraus“, sagt Raffauf.

Tomke und Paula, Lara, Johanna und Katharina werden demnächst – vielleicht wenn die Aufregung um Fukushima ihnen Raum dazu lässt – etwas gegen Massentierhaltung unternehmen, einige Ideen haben sie schon entwickelt. Es ist nicht zu erwarten, dass sie in ein paar Jahren nur noch Cheeseburger von der Fastfoodbude essen, um sich von ihren Eltern abzugrenzen. Dafür ist ihr Engagement schlichtweg zu echt und zu autonom.