Zehn von Tausenden

Zwischen 1932 und 1941 flohen etliche deutsche Schriftsteller vor den Nazis in den kalifornischen Bezirk „Pacific Palisades“. Eine Ausstellung im Lübecker Buddenbrookhaus zeigt, wie die Flucht für die Schriftsteller verlief – und wie ihr Alltag in Kalifornien aussah

In den meisten Fällen stand am Anfang der Flucht eine Warnung. Bei Walter Mehring beispielsweise klingelte am 26. Februar 1933, einen Tag vor dem Reichstagsbrand, das Telefon. Ein Herr des Auswärtigen Amtes rief an und lud sich zum Abendessen ein. Was bei dem passiert ist, hat der Schriftsteller Jahre später einem Reporter erzählt: „Der Herr kam und sagte zu meiner Mutter: ‚Ihr Sohn fühlt sich doch am wohlsten in Paris. Er sollte wieder nach Paris gehen.‘ Als mich die Mutter fragte, wie lange ich dort bleiben wolle, da warf der Herr ein: ‚Ich würde sagen: fünfzehn Jahre.‘ Da wusste ich Bescheid!“

Mehring fuhr trotzdem noch zu einem Caféhaus, in dem er einen Vortrag halten sollte. Die SA wartete dort bereits. Aber Mehring hatte Glück: „Einer der Polizisten fragte mich: ‚Gehen Sie zu dem Mehring-Vortrag?‘, und ich antwortete ihm: ‚Ich geh’ überhaupt nie zu Vorträgen, ich gehe Kaffee trinken, mein Herr!‘“ Noch am selben Abend floh Mehring nach Paris. 1941 setzte er im Frachtraum eines Dampfers von Marseille aus nach Amerika über.

Mehrings Fluchtgeschichte ist spektakulär, ein Einzelschicksal aber ist sie nicht. „Rund 2.500 Schriftsteller flohen zwischen 1933 und 1945 aus Deutschland“, sagt Silke Schulenburg. Sie hat die Ausstellung „Pacific Palisades“ kuratiert, die derzeit im Lübecker Buddenbrookhaus zu sehen ist.

Die Ausstellung entstand in Kooperation zwischen Buddenbrookhaus und dem Auswandererhaus Bremerhaven und zeigt die Wege von zehn Schriftstellern ins Exil. Mit dabei sind ausschließlich die großen Namen wie Lion Feuchtwanger, Heinrich und Thomas Mann, Bertolt Brecht und Alfred Döblin. Gemeinsam haben alle, dass sie sich im Bezirk Pacific Palisades im Norden von Los Angeles niederließen. Der Vorteil: Hollywood als neuer Arbeitgeber war nicht weit. Außerdem war die Landschaft „der toscanischen auffallend ähnlich“, schrieb Thomas Mann. „Ich habe, was ich wollte, das Licht, die immer sich erfrischende Wärme, die Cedern- und Steineichen-Vegetation.“

Wirklich rosig aber war die Zeit in Kalifornien für die deutschen Schriftsteller nicht. Geld war meist nur beim Schreiben für Hollywood zu verdienen, wobei die Manuskripte in der Regel unverfilmt blieben. Die Schriftsteller sehnten sich danach, wieder in deutscher Sprache arbeiten zu können. Sie fühlten sich gefangen in der kleinen Welt der Exilantengemeinde und hatten mitunter einen deutlich anderen Blick auf ihre Umgebung als Thomas Mann: Für Brecht beispielsweise stand die Landschaft „wie hinter einer Glasscheibe, und ich suche unwillkürlich an jeder Hügelkette oder an jedem Zitronenbaum ein kleines Preisschildchen“.

In der Ausstellung ist die Zeit in Pacific Palisades der letzte von drei gleich gewichteten Bereichen. Vorher geht es um die Anlässe der Flucht aus Nazideutschland und um die Umstände der Überfahrt, die je nach Geldbeutel sehr komfortabel (Thomas Mann) oder erbärmlich (Walter Mehring) sein konnten. In allen drei Bereichen präsentiert die Ausstellung Originaldokumente wie Fotos oder Briefe mit dem Ziel, zu erzählen, was Flucht bedeutet. Um eine Aufarbeitung der Exilliteratur geht es hier nicht.

Vielmehr stehen die Schriftstellerschicksale stellvertretend für andere Flüchtlingsschicksale. Wobei die Ausstellung einen Aspekt geschickt nützt: Schriftsteller können schreiben. Man liest nicht immer gerne, was sie erlebt haben, aber man liest es. Klaus Irler

Pacific Palisades: bis 17. Juni im Buddenbrookhaus in Lübeck; ein Katalog mit 80 Seiten ist im marebuchverlag erschienen