Qualle voraus

Kraulen und Stechen: Bei der Weltmeisterschaft in Australien müssen die Langstreckenschwimmer hart sein

BERLIN/MELBOURNE taz ■ Christian Hein ist froh, dass er nicht mehr ins Meer steigen muss. Der Schwimmer hat noch zwei WM-Wettkämpfe vor sich – im wohl temperierten Becken. Dort gibt es fast keine Wellen und die Bahnen sind fein säuberlich voneinander getrennt. Hein bestreitet noch die Rennen über 800 und 1.500 Meter. Das Meer liegt hinter ihm, ein gefährliches Medium, nur 18 Grad kalt, voll mit Feuerquallen und einer gewaltbereiten Spezies: dem gemeinen Langstreckenschwimmer. Seitdem olympischer Lorbeer über die 10-Kilometer-Distanz zu holen ist und der Schwimmverband Fina Preisgelder für die besten Langzeitkrauler der Welt auslobt, geht es im Salzwasser viel rauer zu. „Die Sportart ist in Peking 2008 dabei“, sagt Hein, „jedes Jahr kommen mindestens zwei hochkarätige Beckenschwimmer und ein paar neue Nationen dazu. Da kommt es zwangsläufig zu Übergriffen.“ Hein ist im Meer vor St. Kilda Zehnter über fünf Kilometer geworden und Fünfter über die doppelte Distanz. Sein Mannschaftskollege Thomas Lurz hat sich erfolgreicher durchgeschlagen. Er hat sich im Getümmel eine Gold- und Silbermedaille erschwommen.

Hein geht grundsätzlich nur zu Wettkämpfen ins Meer. Ansonsten zieht er im gechlorten Süßwasser seine Bahnen. Das hat zum Beispiel den Vorteil, dass er nicht auf Feuerquallen trifft. Das Getier schwimmt ja auch vor Australiens Küsten, ist recht groß und hat lange Tentakel, die ihr Nesselgift an jeden abgeben, der unvorsichtig genug ist, sie zu berühren. „Würde ich im Training auf so etwas stoßen, ich wäre sofort aus dem Wasser“, gesteht Christian Hein. Bei einer Weltmeisterschaft geht das natürlich nicht. Da müssen die Langstreckler tapfer sein. „Ich bin auch in zwei reingeschwommen, das war ein sehr brennender Schmerz, aber man ist so unter Adrenalin, dass man es nicht richtig wahrnimmt.“ Die Frauen haben in Australien noch mehr leiden müssen als die Männer, weil bei deren letztem Wettkampf ruhiger Seegang und mildes Wetter herrschte – und die Quallen an die Oberfläche kamen.

Hein erinnert sich an ein Rennen vor Dubai, als er und seine Konkurrenten auf ein „Minenfeld aus blauen Quallen mit einem Körper, hart wie Beton“ getroffen seien. Das Peloton der Krauler musste durch die Quallenschule hindurch, was in etwa so schmerzhaft gewesen sein muss wie vor St. Kilda der Kontakt mit dem Nebenmann. „Es ist hier so viel passiert: Man wird zurückgezogen, es wird mit dem Ellenbogen geschlagen, die Arme werden so flach gezogen, dass man jedes Mal am Kopf getroffen wird. Manche gehen bewusst auf solche Konfrontationen“, sagt Hein. „Aber jeder von uns weiß, worauf er sich einlässt. Und wer es nicht weiß, der weiß es spätestens nach zehn Minuten.“ Es ist ein hartes Geschäft: Wer nicht von kleinen Meeresungeheuern gepiesackt und vom Nebenmann in die Rippen gepufft wurde, der kämpft mit den Wellen, der Strömung oder der Kälte. „Ich hasse kaltes Wasser“, sagt Hein und beklagt, dass wärmende Neoprenanzüge nicht zugelassen sind. Der Schwimmer von der SG Rheinhessen, der mit seinem Sport „gerade den Lebensunterhalt“ sichern kann, will in Peking so abgehärtet sein, dass er vorn ankommt. Gern auch mit Quaddeln an den Armen, blauen Flecken an den Beinen und einem Liter Meerwasser im Bauch. MARKUS VÖLKER