Eine europäische Erfindung

betr.: „Mit dem Imam gegen Judenhass“, taz vom 15. 3. 07

In Deutschland wird nicht nur schief angemacht, wer eine Kippa trägt. Nichtmuslime können sich auch folgendem Versuch unterziehen: Frauen tragen das Kopftuch, Männer lassen sich Bärte wachsen und kleiden sich in Dscheballa. Die Probanden werden sich wundern, welch offene Ablehnungsreaktionen sie allein durch ihren neuen Kleidungsstil hervorbringen können. Der islamische Antisemitismus existiert nicht. Er ist eine europäische Erfindung, eine okzidentale Zuschreibung, die es uns Westlern leichter macht, die Last unseres Gewissens zu ertragen, denn für die Situation im Nahen Osten sind wir verantwortlich.

Dass viele Juden ihre nordafrikanische Heimat verlassen mussten, verdanken sie dem europäischem Kolonialismus. Dieser hat das Gleichgewicht der muslimisch-jüdischen Gesellschaft in Nordafrika zu Fall gebracht. Sicherlich existiert der Hass muslimischer Jugendlicher auf den israelischen Staat aufgrund dessen Palästinapolitik. Doch hier sollte man sich fragen: Warum identifizieren sich so viele Muslime in Europa mit Palästina? Und warum identifizieren sich so viele Juden in Europa mit Israel? Hat es vielleicht mit unserer Integrations- und Minderheitenpolitik zu tun?

Wer jetzt immer noch an einen muslimischen Antisemitismus glaubt, sollte einmal durch die Bahnhofsviertel von Paris oder Marseille spazieren. Im Reiseführer steht da vielleicht „arabischer Souk“, es sind aber nicht nur Araber, sondern auch Juden, die dort Handel treiben, zusammen mit Arabern, in arabischer Sprache, wie sie es im Maghreb getan haben. Nur, dass diese Viertel nach und nach von chinesischen Händlern überschwemmt werden, die mit ihren Billigpreisen den Markt an sich reißen. Nur gut, denn wenn wir den islamischen Antisemitismus hinter uns haben und vielleicht auch den europäischen Antiislamismus, dann haben wir sicher Platz in unseren Köpfen für den chinesischen Antisemitismus und den europäischen Antichines… BARBARA PEVELING, Marseille, Frankreich