DAS PARISER URTEIL IM KARIKATURENSTREIT STÄRKT DIE PRESSEFREIHEIT
: Keine Geschmacksfrage

Die Erleichterung über das Gerichtsurteil im französischen Karikaturenstreit hat nicht das Geringste mit Geschmack zu tun. Es ist nicht nötig, die Mohammed-Karikaturen zu schätzen oder sie auch nur interessant zu finden, um das Prinzip zu verteidigen, wonach sie veröffentlicht werden dürfen. Sie mögen simpel sein. Sie mögen schlecht gezeichnet sein. Sie mögen von Gottes- und Prophetenlästerei getragen. Und sie mögen religionsimmanente Prinzipien verletzen. Aber sie sind keine Beleidigung für eine wie auch immer zusammengehörende Personengruppe. Weder für MuslimInnen. Noch für religiöse Menschen – egal welcher Konfession: Diese Karikaturen sind eine kommentierende und daher zugespitzte Auseinandersetzung mit einem terroristischen Phänomen.

Dass muslimische Organisationen die Karikaturen für eine Anzeige wegen „rassistischer Beleidigung“ genutzt haben, ist eher eine Beleidigung für die überwältigende Mehrheit der MuslimInnen in Frankreich. Denn es ist klar, dass die MuslimInnen mit dem Terrorismus genauso wenig beziehungsweise genauso viel zu tun haben wie die Mehrheit der NichtmuslimInnen. Darüber hinaus sind die französischen MuslimInnen, von denen viele keinerlei religiöse Praxis und Überzeugung haben, von den klagenden religiösen Organisationen auch für ideologische Zwecke vereinnahmt worden. Und das ist ein zweiter Missbrauch. Denn hinter der Anzeige steht die implizierte Botschaft, muslimische Menschen wären anders.

Dass es in Paris aufgrund der Anzeige religiöser Organisationen auf der Suche nach einem Forum überhaupt zu einem Prozess kommen konnte, ist die Schattenseite des Verfahrens. Wenn Gerichte über Gotteslästerei debattieren und die Medien darüber schreiben, löst das beinahe automatisch hier und dort vorauseilenden Gehorsam sowie Zensur und Selbstzensur aus. In einem solchen Klima haben ZeichnerInnen Angst, setzen Opernhäuser Inszenierungen ab, lassen Präfekten Kunstposter zensieren. Dergleichen Rücksichtnahme auf vermeintlich religiöse Gefühle trägt immer auch zur neuen Ghettobildung bei. DOROTHEA HAHN