Musikfest mit Statement

URAUFFÜHRUNG Politische Töne: Fazıl Says Werk über die Gezipark-Proteste

Crebassas schmaler, vom eigenen Gesang geschüttelter Körper wird zum Symbol der Zivilgesellschaft

Nicht ein einziges Wort kommt über die Lippen der Sängerin. Und dennoch ist das, was die Mezzosopranistin Marianne Crebassa in der „Glocke“ erklingen lässt, an eindringlicher Deutlichkeit kaum zu überbieten: Mit „Gezi-Park 3“ hat Fazıl Say ein hochpolitisches Werk komponiert, das die Niederschlagung der Demonstrationen des Mai 2013 in Istanbul thematisiert. Nun wurde es im Rahmen des Musikfestes uraufgeführt.

Crebassas Stimme füllt den Saal, allein, textlos, in einer absteigenden, immer wieder sequenzierten Linie, deren polymetrischer Rhythmus einen ebenso energetischen wie klagenden Sog entfacht. Ihr schmaler, vom eigenen Gesang geschüttelter Körper wird zum Medium, zum singulären Symbol einer Zivilgesellschaft, deren Engagement in der puren physischen Übermacht der Polizeigewalt erstickt.

Denn wenn das Orchester, die Deutsche Kammerphilharmonie, die Klangfigur der Vokalise übernimmt und sie, immer gewalttätiger werdend, zu einem vorläufigen Finale entfacht, kulminierend in knallenden Pizzicati – dann verstummt die Stimme, nur ein ferner orchestraler Klangschleier liegt noch über der Bühne.

In den hinein setzt Say seine vorsichtigen Flügel-Töne, tastend, erkundend, auslotend, fragend: Wie geht es nun weiter? Crebassa antwortet mit einer Reprise ihrer Vokalise – die diesmal mit einer aufsteigenden Figur endet, ein unmissverständliches Fragezeichen.

Say, 2013 wegen „Blasphemie“ zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt, hat immer wieder massive Probleme mit der türkischen Regierung. Das Requiem für seinen Freund Metin Altıok, der mit 34 weiteren Künstlern bei einem islamistischen Anschlag in Sivas verbrannte, durfte Say in Istanbul nur mit Einschränkungen aufführen. Die Aufführung zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse wurde nach Protesten des türkischen Kulturministeriums abgesagt.

„Gezi-Park 3“ ist als Bremer Auftragswerk vor auswärtigen Interventionen etwas gefeiter. „Das entspricht dem Freiheitsimpuls dieser Stadt“, sagt Musikfest-Intendant Thomas Albert. Aber warum bringt Bremen nicht den nun vollständigen Gezipark-Zyklus zur Aufführung? „Weil dessen Existenz zum Zeitpunkt der Programmplanung noch gar nicht absehbar war“, erklärt Musikfest-Sprecher Carsten Preisler. Ein Festival, das sich um Zeitgenossenschaft bemüht, kann eben jederzeit vom kreativen Output seiner Protagonisten überholt werden – Gezipark I + II entstanden im Frühjahr und kamen in Wien zur Welt.

Stattdessen setzt das Musikfest also auf eine Kontextualisierung durch Strawinsky und Ravel – dessen G-Dur-Konzert immerhin Gelegenheit gab, Say als absoluten Ausnahme-Pianisten zu erleben. Völlig versunken, verschmolzen mit dem Instrument, sitzt er vor dem Flügel, betrachtet seine über ihn huschenden Hände, die wie von allein den Klang aus den Tasten ziehen. Der Gezipark-Klang, der sicher bald in Trilogie-Gestalt bekannt wird, bleibt lange in Erinnerung. HENNING BLEYL