DIE KUNST DER EINLADUNG: Fremde Männer
Ich gehöre zu den Frauen, die sich freuen, wenn ein fremder Mann sie zum Kaffee einlädt. Ich stand an der S-Bahn-Station Bellevue und las Zeitung. Da steckte ein Typ seine Nase in die Zeitung. Sein Anblick war nicht so schön wie der Name der Station. Er war um die 50, trug knielange Hosen, ein ärmelloses T-Shirt über den blassen dicklichen Oberarmen, die mit Drachen tätowiert waren, und die Gitarre so wie Johnny Cash. Zwei-, dreimal hatte ich ihn schon in der S-Bahn gesehen. Seine Musik war nicht schlecht, und jedes Mal regte er sich über das fehlende Lachen der Fahrgäste auf. „So eine schöne Frau“, sagte er und musterte mich von oben bis unten. „Warst du beim Innenministerium?“ „Ja“, erwiderte ich, „beim Minister persönlich. Aber pssst, streng geheim.“ Er lachte und sagte, dass er mich gern auf einen Kaffee einladen würde. Ich entgegnete, dass der Innenminister das nicht erlauben würde.
In der S-Bahn versuchte der Mann, die Menschen aufzuheitern. „Fukushima strahlt. Warum strahlt hier niemand?“ Ich stieg wie er am Alexanderplatz aus. Dort machte er mit seiner Mission weiter. „Zur Beerdigung geht’s nach rechts!!“, rief er über den Bahnsteig.
Am nächsten Tag war es ein türkischer Kioskbesitzer, der eine Kaffeeeinladung aussprach. Seit Langem kaufe ich ab und an im Dunkeln der U-Bahnstation Frankfurter Tor einen Schokoriegel bei ihm. Einmal erkundigte ich mich bei dem Mann, der immer fröhlich ist, nach dem Umsatz. Seitdem kommt er jedes Mal, wenn er mich sieht, aus seinem Häuschen heraus und erstattet Bericht. „Der Umsatz ist super!“ Beim letzten Mal sagte er etwas anderes. „Ich würde Sie am Freitag gern auf einen Kaffee einladen.“ Keine Ahnung, ob es Zufall oder Absicht war, dass ich an diesem Tag nicht mit der U-Bahn fuhr. Einige Tage später winkte er aus seinem Kiosk heraus. In seinen Augen lag so eine Sehnsucht. BARBARA BOLLWAHN
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