„Ich habe einen Knacks“

LIEDERMACHERIN Maike Rosa Vogel über die brummigen Herren von Element of Crime, die Unfähigkeit zu lügen und den Schmerz in der Wahrhaftigkeit

■ ist 33 Jahre alt, lebt in Berlin und schreibt und singt Lieder, die so wahrhaftig sind, dass es wehtut. Auf ihrem zweiten Album, „Unvollkommen“, sind das Lieder über sich selbst und die anderen, die sie kennt, Lieder über „meine leise Liebe“ und „Kissen voller Wut“, über „Nackte, die sich nicht ausgezogen kennen“, und „die Haut, in der man steckt“. Es sind Lieder ohne jede ironische Absicherung, Selbstentblößung auf allerhöchstem Niveau. „Sich selbst spüren“, singt sie, das ist „das letzte Abenteuer“. Musikalisch hat sich Vogel, die in Frankfurt am Main aufwuchs, unter der Produzentenregie von Schriftsteller Sven Regener vom eher elektronikgestützten Sound ihres Debüts „Golden“ verabschiedet. Nun spielt sie ihre Gitarre so energisch wie ein Agit-Prop-Barde aus den Sixties und bläst dazu rebellisch in die Mundharmonika. Protestsongs für die private Revolution. (to)

■ Maike Rosa Vogel „Unvollkommen“ (Our Choice/Rough Trade), live am 14. 5. Privatclub Berlin, 19. 5. Waschhaus Potsdam

INTERVIEW THOMAS WINKLER

taz: Frau Vogel, geht’s Ihnen gut?

Maike Rosa Vogel: Ja. Warum?

Sie machen einen etwas erschöpften Eindruck.

Wirklich? Vielleicht liegt es daran, dass ich noch nicht wieder richtig angekommen bin nach der Tour mit Element of Crime. Ich bin erst seit einer Woche wieder in Berlin.

War’s so schlimm?

Nein, aber man ist wie abgekapselt auf Tour, man lebt da in einer anderen Welt.

In einer Welt, in der man die einzige Frau unter alten, brummigen Männer ist.

Ach, die alten, brummigen Männer, die sind ja nur in der Band. Die Crew von Element of Crime, die sind alle ungefähr so alt wie ich. Aber ich bin das auch gewöhnt: Wenn man Musik macht, ist man oft die einzige Frau. Das kenne ich schon.

Da sind Sie im Vorprogramm allein mit akustischer Gitarre aufgetreten. Nicht gerade der klassische Einheizer.

Vorgruppe von Element of Crime als Maike Rosa Vogel, das funktioniert super. Das ist ein Traum. Die Leute, die Element of Crime mögen, die mögen mich auch. Das ist vielleicht weit auseinander, wenn man ein Musikliebhaber ist und weiß, wie viel da musikalisch dazwischenliegt. Ist man aber einfach ein Freund deutschsprachiger Musik, die nicht so ganz blöd ist, dann ist es schon relativ eng beieinander.

Wenn Sie die Wahl haben: Erzählen Sie lieber die gute Geschichte, die wahr ist, oder die bessere Geschichte, die erfunden ist?

Erfundene Geschichten erzähle ich tatsächlich überhaupt nicht. Ich übertreibe ganz gern mal, und ich erzähle vielleicht auch mal eine uncoole Geschichte so, dass sie sich cool anhört. Aber ich habe da einen Knacks: Ich kann überhaupt nicht lügen. Und wenn ich lügen muss, dann verhaspele ich mich grundsätzlich.

Angeblich lügt jeder Mensch, haben Wissenschaftler ermittelt, im Schnitt 200-mal am Tag.

Ja, so was lese ich auch regelmäßig und denke dann: Da versaue ich wohl den Durchschnitt. Mein Bruder kann besser lügen, und der ist damit auch besser durchs Leben gekommen. Ich war oft viel zu ehrlich, glaube ich.

Woher kommt dieser Drang zur Ehrlichkeit?

Ich weiß es nicht, ich war schon immer so. Meine Eltern waren genauso. Sie waren immer echt, politisch sehr aktiv, kommunistische Partei, Friedensinitiative, Umweltbewegung. Die können mit der Kategorie „cool“ gar nichts anfangen. Im Vergleich zu denen bin ich eine coole Sau. Die kennen nur Wolf Biermann und Degenhardt.

Na, dann sind sie mit ihrer Tochter sicher sehr zufrieden.

Ja, das gefällt ihnen schon, was ich mache. Ich selber konnte aber mit Biermann und Degenhardt nie so viel anfangen, mir hat das als Kind nicht gefallen, wie die gesungen haben. Aber was gut war: Dadurch war es völlig normal für mich, dass Musik deutsche Texte haben kann. Wenn meine Eltern wie alle anderen Beatles, Stones und Bob Dylan gehört hätten, dann hätte ich vielleicht eine ganz andere Affinität zu englischen Texten entwickelt. Ich finde auch nach wie vor viel englischsprachige Musik ganz toll, ich liebe Dylan, aber so habe ich schon früh Element of Crime gehört oder Blumfeld. Tocotronic haben mich umgehauen.

Sie haben zu Ihrem ersten Album „Golden“ einmal gesagt: „Zentrales Thema bei meinen Liedern ist eigentlich immer nur ich. Aber das ist ja ein weites Feld.“ Ich habe das Gefühl, auf dem neuen Album „Unvollkommen“ gibt es …

... mehr du?

Ja.

Ja, vielleicht, aber eigentlich geht es doch nur um mich. Es geht um meine Welt, aber in der spielen natürlich auch andere Leute eine Rolle. Mir ist eben wichtig, dass ich mir nichts ausdenke, dass ich nichts konstruiere. Dagegen ist gar nichts zu sagen, aber das konnte ich noch nie. Mir fehlt da wohl die Fantasie.

So viel Wahrhaftigkeit kann aber schmerzhaft sein.

Das ist oft der Punkt, warum man überhaupt Lieder schreibt: weil es so schmerzvoll ist. Man kann dann oft nichts beschönigen.

Ist der Schmerz nach dem Schreiben dann verschwunden?

Ja.

Lieder schreiben als Therapie?

Ja. Eine Zeit lang hatte das auch etwas Existenzielles. Wenn ich das nicht gehabt hätte, wenn ich nicht hätte schreiben können, wäre ich viel gebrochener raus gekommen am Ende.

Lebt der Schmerz nicht immer wieder auf, wenn Sie die Lieder wieder singen?

Da stimmt dann einfach: Die Zeit heilt alle Wunden. In dem Moment, wo man es aufschreibt, hilft das zwar, richtig weggehen tut es aber erst mit der Zeit.

So viel Wahrhaftigkeit in der Kunst führt leicht zum Kitsch.

Manchmal geht es mir eben so, dass ich denke: Darüber muss jetzt mal geschrieben werden, egal wie es sich anhört. Dann nimmt man eben die Wörter, die es braucht, auch wenn sie nicht besonders lyrisch klingen. Aber als deutsche Liedermacherin fragt man sich eh ständig: Ist das jetzt nicht zu simpel oder zu kitschig? Und dann guckt man sich die amerikanischen Songwriter an und stellt fest: wie einfach die oft schreiben und wie kitschig die oft sind. Und wie gut trotzdem. Da muss man sich einfach mal erlauben, das genauso zu machen auf Deutsch. Einfach mal zu sagen, was man fühlt, denn genauso fühlt es sich an.

Ist es das, was Sie meinen, wenn Sie singen: „Es gibt ein wahres Leben im falschen, daran habe ich immer geglaubt.“?

Ich habe eigentlich die meiste Zeit in meinem Leben das Gefühl, dass das wahr ist, was ich lebe. Aber ich weiß auch, dass vieles in dieser Welt falsch ist. Dass das nicht die Welt ist, zu der man Ja sagen will. Aber trotzdem kann man in ihr wahrhaftig sein.

Noch so ein klassischer linker Satz: Das Private ist politisch. Ist Ihre Musik deshalb, trotz oder gerade wegen ihrer radikalen Intimität, politisch?

Das klingt auch wie so ein Siebziger-Jahre-Klischee, aber weil das Private viel wichtiger ist als die Politik, gerade deshalb ist es superpolitisch. Man muss das nicht ständig rauszerren und jedem um die Ohren hauen. Aber so, wie ich mein Leben lebe, welche Entscheidungen ich treffe, das beeinflusst unglaublich viel – wahrscheinlich viel mehr, als wenn man wählen geht.