Ganz weit hinten, ganz weit vorne

Die Zahl der Privatinsolvenzen ist in Bremen explodiert. Im vergangenen Jahr gab es eine Steigerung um 84,5 Prozent. Bremen kommt damit auf Platz 1 im Bundesvergleich. EinDrama? Die Schuldnerberatung sieht darin aber auch Gutes

Die fünf Bundesländer mit der höchsten Privatinsolvenzen-Dichte 2006

1. Platz: Bremen (374 pro 100.000 Einwohner) 2. Platz: Saarland (241) 3./4. Platz: Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein (jeweils 221) 5. Platz: Niedersachsen (216) taz

von CATHARINA OPPITZ

Auf einmal kam die Karte nicht mehr aus dem Geldautomaten. Conrad Stein* dämmerte langsam das ganze Ausmaß seiner Privatinsolvenz. Zusammen mit einem Freund hatte er vor drei Jahren einen Plattenladen aufgemacht. Um Ware und Einrichtung anschaffen zu können, nahmen die beiden einen Kredit von über 10.000 Euro auf. Ende vergangenen Jahres musste der Laden dicht machen.

„Das Konzept war gut“, davon ist der Jungunternehmer auch heute noch fest überzeugt, „aber es kamen einfach nicht genug Kunden.“ Der Kredit platzte, ohne Einkünfte konnten die beiden die Raten nicht mehr zurückzahlen. Viele Gespräche mit der Bank folgten. „Aber die sind uns keinen Millimeter entgegengekommen“, erinnert sich Conrad voller Ärger an das Verhalten seiner Hausbank. Hier war er immerhin über 15 Jahre Kunde gewesen.

„Man hätte sich doch übergangsweise auf eine niedrigere Verzinsung einigen können oder so.“ Die Bank sperrte sein Konto und Conrad konnte noch nicht einmal mehr die Miete überweisen. Als letzte Möglichkeit blieb nur noch der Gang zur Schuldnerberatung und die Anmeldung der Privatinsolvenz.

Als besonders belastend empfand Conrad die Besuche bei der BAgIS, die nun regelmäßig anstanden. Hier musste er nicht nur seine eigene finanzielle Situation, sondern auch die seiner Freundin offenlegen. Die beiden leben zusammen und gelten somit als Gütergemeinschaft. „Beim Amt wollten die dann wissen, ob Natascha einen Bausparvertrag hat und wie alt ihr Auto ist“, erinnert sich Conrad. Natascha verdient knapp 1.000 Euro. Davon wurden 200 Euro auf Conrads Einkünfte angerechnet. „Dabei ist es doch das Letzte auf der Welt, was ich will, dass meine Freundin mich aushält!“

Von den 500 Euro, die Conrad jetzt im Monat bekommt, geht fast die Hälfte für Miete drauf. Mehr darf er nicht verdienen. Wenn er einen neuen Job hat, geht alles, was über dem Festbetrag liegt, direkt an seine Gläubiger. Die Bank, sein Anwalt, der Steuerberater. Und auch die letzten Mieten für den Laden müssen noch abgestottert werden. Einem Schufa-Eintrag ist er gerade noch entkommen, weil sich noch keine Außenstände, etwa für Handyrechnungen, aufgetürmt hatten.

Arbeitslosigkeit, Trennung oder eine gescheiterte Selbstständigkeit sind nur einige der Gründe, Privatinsolvenz anzumelden. 136.578 Privatinsolvenzverfahren wurden im vergangenen Jahr eröffnet. Laut einer Studie des Bremer Inkasso-Unternehmens Seghorn nimmt Bremen dabei mit 428 Fällen pro 100.000 Einwohner den dritten Platz unter den Stadtkreisen ein. Nur Pirmasens (549) und Delmenhorst (507) schneiden bundesweit dabei noch schlechter ab. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das für Bremen eine Steigerung um 84,5 Prozent. Auch auf Bundesländerebene führt Bremen die Negativliste an: 374 Fälle pro 100.000 Einwohner in der Hansestadt stehen 117 Fällen pro 100.000 Einwohnern in Baden-Württemberg, dem positiven Schlusslicht der Liste, gegenüber.

Laut Seghorn ist mangelnde Finanzkompetenz einer der Hauptgründe für Überschuldungsprobleme. Die hohen Zahlen für Bremen seien jedoch nicht darauf zurückzuführen, dass man in Bremen besonders schlecht mit Geld umgehen kann, betont Doris Wilkens von Seghorn und führt aus: „Der Anstieg für 2006 begründet sich dadurch, dass bei den Amtsgerichten eine Bugwelle an Fällen aufgelaufen ist, die erst zum Jahresende bearbeitet werden konnten.“ Die gute Nachricht: Für 2007 prognostiziert Seghorn einen geringeren Anstieg der Privatinsolvenzen. Dafür wurden Vergleichszahlen aus dem Jahr 2006 auf das laufende Geschäftsjahr hochgerechnet.

„Viel zu wenige überschuldete Haushalte melden Insolvenzverfahren an“, meint Martina Steinmann vom Fachzentrum Schuldnerberatung im Lande Bremen. Zwar gebe es in Bremen viele ALG-II-Empfänger, vor allem aber seien die hohen Zahlen im bundesweiten Vergleich ein Beweis für das gut funktionierende System der Schuldnerberatung im Lande. In anderen Bundesländern, wie etwa NRW, können Schuldner nicht bei Wohlfahrtsverbänden wie AWO oder Caritas Rat einholen.

Sie sind in der Regel auf die Dienste gewerblicher Regulierer angewiesen. Hier muss der Schuldner mit bis zu 1.000 Euro in Vorleistung treten, damit das Verfahren überhaupt eröffnet wird. Geld, das Hilfesuchende in gerade dieser Situation oft nicht haben. „Der Druck der Gläubiger ist häufig so hoch, dass die Schuldner nach jedem Strohhalm greifen, auch wenn das bedeutet, dass die Schulden noch mehr werden.“

Sechs Jahre wird Conrad im Privatinsolvenzverfahren bleiben, dann ist er schuldenfrei und hat die Ansprüche aller Gläubiger getilgt. Um die Prozesskosten zahlen zu können, wird schon jetzt die alte Ladeneinrichtung Stück für Stück bei ebay verscherbelt, immerhin 2.000 Euro müssen zusammenkommen. Und ein Konto hat Conrad auch wieder, ein Mikro-Konto bei der Ethikbank. Hier gibt es keine Möglichkeit, das Konto zu überziehen oder im Laden mit Karte zu bezahlen. „Aber es ist schon ein blödes Gefühl, zu wissen, dass mich erst einmal sonst keine Bank mehr haben will!“, meint Conrad desillusioniert.

*Namen geändert