ortstermin: Die Hamburger Handelskammer tut sich im virtuellen Leben um
: Torquill Tomsen blieb allein

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen Autoren der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Torquill Tomsens einziger Daseinszweck war es, Zeuge einer Weltpremiere zu werden. Nur deshalb wurde er erschaffen, benannt und bekleidet und von daher muss man es unbefriedigend nennen, wenn nur zwei Gäste zur Weltpremiere kommen. Gestern zwischen 16 und 17 Uhr im weltweiten Netz. Um dabeizusein, wenn die Hamburger Handelskammer ihren ersten Ausflug in die virtuelle Welt von „Second Life“ macht, um Geschäftsleute „zu Touren durch die rasch wachsenden SL-Welten“ einzuladen und zu informieren über, natürlich, Geschäftsmöglichkeiten.

Man habe bei der Handelskammer danach nachgefragt, so sagt deren Pressesprecher, und dies mag von gutem Geschäftssinn zeugen, schließlich wird dem Erfinder des Spiels eine Zukunft als Multimillionär vorausgesagt. Es gibt mittlerweile einige Menschen, die Geld damit verdienen, Land in Second Life zu verkaufen oder ein hübsches Äußeres für den Avatar, den man erschafft, um mitzuspielen in dieser sonderbaren Parallelwelt. Vielleicht hätte auch Torquill Tomsen mehr Anschluss gefunden, wenn er ansprechender gekleidet gewesen wäre. Aber die Welt in Second Life gehorcht dem nüchternen Gesetz des Geldes und so hatte er als Neugeborener ohne Budget wenig Wahl. Bei den Männern liegt dieses Wenige zwischen Gestalten à la Ken, dem Gatten Barbies, und einigen Gnomfantasien. Torquill war ein Atavar der Gattung „City chic“, nur dezent muskulös, Bart, Brille und kurze Hosen. Ein bisschen intellektuell sozusagen, ein Eindruck, der jedoch unter der weißen Skiunterwäsche ein wenig litt.

So erschien er kurz nach 16 Uhr vor dem antik wirkenden blau-weißen Säulenportal der Handelskammer, wo er lange allein blieb. Gegen 16.30 traf Tiger 74 im kahlen Raum der Handelskammer ein – kurzhosig und rauchend. „Ist die Führung vorbei“, fragte er eine gewisse Dizzi Merlin, wobei er Torquill Tomsen in seiner Skiunterwäsche geflissentlich übersah. „Ja. Hat nicht stattgefunden“, antwortete Dizzi Merlin, die an eine Kreuzung zwischen Mickey Mouse und Nina Hagen erinnerte. „Was hat euch hierher verschlagen?“, rief Torquill Tomsen, aber man antwortete ihm nicht. So lief er in seiner ungelenken Art zweimal gegen die Säulen der Handelskammer, um sich dann auf dem Weg nach Hamburg City im Nirgendwo zu verirren. Friederike Gräff