Der erlittene Sieg

Spanien zittert sich zu einem 2:1 gegen Dänemark – und darf wieder ein bisschen auf die EM-Teilnahme hoffen

MADRID taz ■ Luis Aragonés kauerte wie ein Häufchen Elend auf seinem Stuhl. Gerne hätte man dem alten Mann eine Decke über die Schultern gelegt und einen Teller Suppe gebracht. Kann so ein Trainer aussehen, dessen Elf vor 75.000 Landsleuten im eigenen Stadion gegen zehn Rivalen 2:1 führt?

Zur Pause hatten die Spanier einen 2:0-Vorsprung genossen, und wer die „selección“ und ihre Charakterschwäche nicht kennt, hätte Grund zur Annahme gehabt, dass die zweite Halbzeit im rot-gelb-gefärbten Stadion Santiago Bernabéu eine einzige große Fiesta werden würde. Doch gleich nach Wiederanpfiff köpfte Dänemarks Michael Graavgard den Ball nach einem langen Einwurf ins spanische Tor, und die Iberer entpuppten sich mal wieder als Sensibelchen, die vom kleinsten Widerstand aus der Bahn geschleudert werden. Feintechniker, die sich sonst auf der Fläche eines Bierdeckels freidribbeln, lieferten den Ball artig beim Gegner ab, ließen sich in den Strafraum drängen, wo sie jede Flanke wie eine Naturkatastrophe erlebten. „Die Angst hat uns übermannt“, gestand Aragonés, nachdem der Schlusspfiff endlich den 2:1-Endstand besiegelt hatte.

Es stand viel auf dem Spiel, nicht zuletzt für den 68-Jährigen, der schon nach der Niederlage im Achtelfinale der WM gegen Frankreich um seinen Arbeitsplatz bangen musste. Alles andere als ein Erfolg hätte die Chancen auf die Teilnahme an der Europameisterschaft 2008 auf ein Minimum reduziert, denn die Mannschaft hat schon zweimal verloren in dieser Qualifikation. Diesmal also glückte ein Sieg, aber es war einer, den Spanien erlitt, nicht feierte. So bleibt zwar Hoffnung auf die Teilnahme am Turnier in Österreich und der Schweiz, doch die Zweifel überwiegen: Wie sollen diese unreifen Talente gegen die mental gefestigte Gruppenkonkurrenz aus Dänemark, Schweden und Nordirland bestehen?

Vermutlich wäre es schon dieses Mal schiefgegangen, hätte der Schweizer Schiedsrichter Busacca nicht bereits nach 19 Minuten Dänemarks Linksverteidiger Niclas Jensen, früher Borussia Dortmund, durch zwei strenge Gelbe Karten in kurzer Abfolge des Feldes verwiesen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Gäste dominiert, waren als taktisch intelligente und zielstrebige Einheit aufgetreten. „Elf gegen elf waren wir besser“, meinte Morten Olsen, „aber nach dem Platzverweis wendete sich das Blatt.“ Der mutige Trainer ließ die Abwehr zunächst als Dreierkette fortfahren. Erst nach dem Wechsel stellte er auf ein 4-4-1-System um, ersetzte aber nach 73 Minuten einen der Verteidiger wieder durch einen Stürmer.

Während Aragonés das Spielende herbeizitterte, peitschte Olsen seine Männer nach vorne. Weil die Zeit knapp wurde, sprang er einmal sogar selbst auf den Rasen, um nach einer Unterbrechung den Ball zurückzuwerfen. Diese Einlage brachte ihm einen Streit mit dem vierten Offiziellen ein, und beim nächsten Ausflug aus der Coachingzone wurde auch Olsen vom Platz gestellt. Von der Tribüne aus erlebte er die Schlussphase der ersten Niederlage im vierten Qualifikationsspiel. Ein Rückschlag also für den Europameister von 1992, der am Mittwoch in Duisburg zum Test gegen die DFB-Auswahl antritt.

Die Spanier empfangen dann in Palma de Mallorca das Team aus Island. Selbstvertrauen könnten sie daraus ziehen, dass immerhin eine gewisse Durchschlagskraft zu erkennen war, traditionell ebenfalls keine spanische Eigenschaft. Die Tore erzielten Fernando Morientes und David Villa (33., 45.+1), die zusammen auch beim Champions-League-Viertelfinalisten FC Valencia das derzeit treffsicherste Sturmduo Europas bilden. Die Treffer waren zwei kleine Meisterwerke, beide schickten vor ihren genauen Schüssen den Gegner durch raffinierte Finten ins Leere.

Real Madrid war im eigenen Stadion nur durch einen einzigen Protagonisten vertreten, Torwart Iker Casillas. Auch ein Zeichen für die Krise des Renommierklubs. Dessen Präsident Calderón freute sich über die „tolle Atmosphäre“, aber er ahnt auch, dass der Weg durch diese EM-Qualifikation ein schmerzvoller wird: „Wir werden leiden bis zum Schluss.“ Darin haben die Spanier ja Übung, Calderón derzeit ganz besonders. RALF ITZEL