LINKSPARTEI UND WASG HABEN IN DORTMUND IHRE WEICHEN GESTELLT
: Selbstverordnete Langeweile

Politiker können froh sein, dass ihre Anhänger und Wähler keine Parteitage besuchen. Was dort heutzutage geboten wird, und zwar im linken wie im rechten Lager, ist eine Beleidigung für aufgeklärte, denkende Menschen: öde Referate, stundenlange Antragsdebatten, ewiges Kreisen um immer gleiche Streitfragen. Mit schier unerschöpflicher Energie kämpfen die Delegierten um Halbsätze und Semikolon, als hinge davon die Rettung der Welt ab.

Linkspartei und WASG haben mit ihren Parteitagen am Wochenende Musterbeispiele für ein solches geistiges Martyrium geliefert. Das lag nicht zuletzt am Gegenstand: Der gleichberechtigte Zusammenschluss zweier Parteien, ohne Beispiel in der jüngeren deutschen Geschichte, verlangt die Einhaltung komplizierter juristischer Regularien.

Linkspartei und WASG haben die Langeweile jedoch auch selbst verschuldet. Weil sie sich bislang nicht auf ein gemeinsames Programm einigen konnten, die Fusion aber nicht mehr aufzuhalten ist, gerieten sie so unter Zeitdruck, dass in Dortmund vor allem organisatorische Fragen im Mittelpunkt standen. Die Klärung strittiger Fragen – von den Maßstäben für Regierungsbeteiligungen über die Rolle eines modernen Sozialstaates bis hin zur Haltung zu UN-Militäreinsätzen – wurde vertagt. Die neue Partei wird im Sommer mit ein paar Formelkompromissen im Gepäck starten.

Dennoch kommen die Gegner der Linken an einem Fakt nicht vorbei: Die Partei hat zwar keinen Charme, aber eine stabile und loyale Anhängerschaft. Fast alles deutet darauf hin, dass sie auch im nächsten Bundestag sitzen wird. Um dauerhaft überleben und an Einfluss gewinnen zu können, muss die Linke jedoch den Anspruch ihres alten und neuen Parteichefs einlösen: „Entscheidend wird sein, ob uns die Menschen zutrauen, dass wir etwas durchsetzen“, sagte Lothar Bisky in Dortmund. Da wird es nicht reichen, all die bösen Neoliberalen dieser Welt auf die Anklagebank zu setzen. Die Linke hat eine Chance nur als Kümmerer-Partei. Sie muss konkrete Probleme der Menschen lösen helfen – und sich damit den Widersprüchen der modernen Gesellschaft stellen. JENS KÖNIG