Jubiläumszündeln am Vertragsfossil

Vor 50 Jahren wurde mit Euratom ein Vertrag geschlossen, der europaweit „mächtige Kernindustrien“ schaffen sollte. Umweltschützer machen gegen die Privilegierung der Atomkraft mobil und fordern einen Ausstieg aus der Altlast

VON BERNWARD JANZING

Europa feierte am Wochenende sein 50-jähriges Bestehen – und schleppt dabei ein Fossil mit sich herum: den Euratom-Vertrag. Dieser nämlich stand am Anfang der Europäischen Gemeinschaft. In seiner Präambel definiert der Vertrag die Atomkraft als eine „unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft“. Euratom verpflichtet alle EU-Mitglieder, „die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen“, und legt fest, dass „die Kommission die Kernforschung in den Mitgliedstaaten zu fördern“ habe. So verschafft Euratom der Strahlentechnik bis heute unzählige finanzielle Privilegien.

Vergleichbare Unterstützung genießen erneuerbare Energien nicht, wie sich dann auch an den Zahlen zeigt: Die Atomforschung erhielt zwischen 2002 und 2006 jährlich 246 Millionen Euro von der EU, während auf die erneuerbaren Energien gerade 96 Millionen entfielen. Die Zahl der Kritiker, die den Euratom-Vertrag für nicht mehr zeitgemäß halten, wächst daher. In Österreich wird derzeit am heftigsten protestiert: Die Initiative Atomstopp fordert: „Jetzt reicht’s – Österreich muss aus dem Euratom-Vertrag aussteigen.“

Befürworter der Atomkraft berufen sich zwar immer noch darauf, dass ein Ausstieg eines Landes aus dem Vertragswerk nicht einseitig möglich sei – doch das ist nach Einschätzung von Rechtsexperten unzutreffend. Professor Michael Geistlinger von der Universität Salzburg: „Gemäß dem Völkergewohnheitsrecht nach Artikel 56 der Wiener Vertragsrechtskonvention“ bestehe für alle Staaten „ein Recht auf einseitigen Austritt aus dem Euratom-Vertrag“.

Für Österreich ist die Mitgliedschaft in dem antiquierten Atomverein besonders bitter: Das Land hat keine eigenen AKWs, alimentiert aber gleichwohl die Kernspalter jährlich mit 40 Millionen Euro. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes market in Linz wünschen daher auch fast zwei Drittel der Österreicher den Ausstieg ihres Landes aus dem Euratom-Vertrag. Bis auf die konservative ÖVP unterstützen alle Parteien diese Forderung.

Auch in Deutschland wird der Ruf nach einem Ausstieg lauter, nachdem bereits 2003 ein Dutzend Umweltorganisationen vom BUND über den WWF bis zu Eurosolar das Thema aufgebracht hatten. Kürzlich präsentierten die Grünen ein Gutachten, das ebenfalls belegt, dass der Ausstieg juristisch möglich ist. Es lasse sich „aus der Natur des Euratom-Vertrages jedenfalls kein Verbot seiner einseitigen Kündigung ableiten“, so der Gutachter, der Erlanger Staatsrechtler Bernhard W. Wegener. Und doch bleibt die Debatte hierzulande weit hinter der in Österreich zurück. In der Bundesregierung ist ein Ausstieg kein Thema, was auch daran liegt, dass formal zuständig der Wirtschafts- und nicht der Umweltminister ist.

Unter den deutschen Umweltverbänden ist derzeit der BUND am aktivsten. Sein Slogan: „50 Jahre Euratom sind genug“. Obwohl zwölf Länder der EU keine AKWs betreiben, von den übrigen 15 Ländern derzeit fünf aus der Atomkraft aussteigen, seien alle 27 EU-Staaten „Zwangsmitglieder einer Gemeinschaft, die sich der Förderung der Nuklearindustrie“ widme, moniert BUND-Chefin Angelika Zahrnt.

Für den Ausstieg aus Euratom und gegen die geplante Finanzierung eines AKW-Baus im bulgarischen Belene hat der BUND in Deutschland über 100.000 Unterschriften gesammelt. Zusammen mit Partnern wie der europäischen Organisation Friends of the Earth kamen mehr als 630.000 Unterschriften zusammen. Gestern wurden sie an EU-Energiekommissar Piebalgs überreicht – als Zeichen gegen die „nukleare Geiselhaft“ der EU.

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