Die vielen Wünsche an die künftige EU

Gipfel und Gegengipfel: Am Rande der Feiern zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge regt sich Protest: In einer „alternativen Berliner Erklärung“ fordern die Urheber eine neue Verfassung, über die dann die Bürger abstimmen

VON NICOLE MESSMER
UND DANIELA WEINGÄRTNER

Der finnische Botschafter René Nyberg steht am Zebrastreifen in der Französischen Straße in Berlin und wartet darauf, dass die Ampel auf Grün springt. Gerade ist ein paar Meter von hier die Berliner Erklärung zum fünfzigsten Jahrestag der Römischen Verträge feierlich verlesen und unterschrieben worden. In ihr bekunden die EU-Staatschefs den Willen, die EU bis 2009 auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen. „Angela Merkel – die mächtigste Frau der Welt“, steht auf dem Plakat am Lattenzaun, mit dem eine neue Zeitschrift um Leser wirbt. Darüber ist die Kanzlerin bildfüllend abgebildet.

Fühlt er sich nicht ein bisschen unbehaglich, der Botschafter aus dem kleinen Mitgliedsland Finnland, wenn er all diese Superlative über die deutsche Ratspräsidentschaft lesen muss? Die Frage löst eine wahre Liebeserklärung aus: „Sie ist wundervoll. Warmherzig und mit kühlem Verstand. Sie beherrscht die Kohl’sche Methode, vergisst niemals die kleinen Länder. Und sie versteht die Menschen im Osten. Keiner könnte auf den polnischen Präsidenten so einwirken, wie sie es tut.“

Kurz zuvor hatte die Gastgeberin des Geburtstagsgipfels, die bei jedem ihrer europäischen Auftritte von Diplomaten, Politiker und Journalisten mit Lob überschüttet wird, im Historischen Museum ihre große Rede gehalten. Sie lächelt und zitiert nicht ohne Selbstironie einen französischen Politiker: „Verträge sind wie Mädchen und Rosen. Sie halten nur eine gewisse Zeit.“ Der Rosenstock sei seit 1957 doch ziemlich gewachsen, stellte Merkel fest. „Und heute kann ein zugegebenermaßen schon etwas älteres Mädchen die Berliner Erklärung mitunterzeichnen.“

Die Anspielung auf „Kohls Mädchen“ kam gut an, nicht nur bei den Deutschen. Im Presseraum stieß eine dänische Journalistin ihren britischen Kollegen an und sagte: „Ist doch wahnsinnig sympathisch, nicht?“ Ein französischer Kollege antwortete auf die Frage, ob die Berliner Erklärung von den deutschen Diplomaten nicht etwas autoritär durchgedrückt worden sei: „Wie soll es denn anders funktionieren? Wir haben ganz sicher nichts dagegen, es ist schließlich eine sehr französische Art, die Dinge zu handhaben.“

Auch Merkel machte klar, dass sie die Verhandlungen, die nun anstehen und in denen ein Fahrplan für den Reformprozess der Union erarbeitet werden soll, genauso straff zu führen gedenkt. „Das war damals bei den Römischen Verträgen auch nicht anders. Sonst kann man keine Pakete schnüren.“

Vor allem der tschechische Präsident Václav Klaus hatte sich über Merkels autoritären Stil beklagt. „Auch die Tschechen könnten ihre Interessen viel besser vertreten, wenn nicht jedes Mal eine öffentliche Prestigeangelegenheit daraus würde“, antwortete die Ratspräsidentin unverblümt auf die Frage einer tschechischen Journalistin.

Viel grundsätzlichere Kritik übten ein paar Kilometer weiter die Teilnehmer des Gegengipfels „Europa – Nicht ohne uns“. Es war eine recht ungewöhnliche Mischung, die sich in einer Schule in Berlin-Kreuzberg versammelt hatte, um gegen ein – aus ihrer Sicht – übermächtiges Europa zu protestieren. Der niederländische Sozialist Harry van Bommel war ebenso dabei wie der britische Konservative David Heathcoat-Amory. Europa habe sich von den Bürgern entfernt, so die einhellige Kritik von links bis rechts.

Trotz unterschiedlicher politischer Grundüberzeugungen waren sich die Teilnehmer darin einig, dass es Europa an demokratischer Legitimation mangele. Brüssel ziehe immer mehr Zuständigkeiten an sich, es fehle an klaren Abgrenzungen zwischen europäischer und nationaler Ebene.

Gerald Häfner, der Vorsitzender von Mehr Demokratie und Veranstalter der Konferenz, zeichnete ein düsteres Bild für den Fall, dass Europa weitermache wie bisher: „Europa wird demokratisch sein, oder es wird scheitern.“ Die Teilnehmer sprachen sich in einer „alternativen Berliner Erklärung“ daher mehrheitlich für eine neue Verfassung und einen neuen Konvent aus. Dessen Vertreter sollten dann allerdings nicht wie beim letzten Mal bestimmt, sondern demokratisch gewählt oder ausgelost werden. Am Ende sollten die Bürger in Volksabstimmungen über die neue Verfassung abstimmen.

Bereits kurz vor dem Wochenende hatte Attac zehn Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag vorgestellt. Sie gehen noch ein Stück über die Forderungen des Gegengipfels hinaus: Attac fordert mehr Demokratie, aber auch mehr soziale Verantwortung in Europa, mehr Frieden und Solidarität.