: „Die Armee hat keinerlei Disziplin“
Aldo Ajello, scheidender Sonderbeauftragter der Europäischen Union für die Großen Seen, über seine Bilanz des Friedensprozesses im Kongo und die Fehler, die internationale Organisationen wie die Weltbank bei der Entwaffnung der Bürgerkriegskämpfer gemacht haben
Der Italiener ALDO AJELLO, 71, ist seit 1996 Sonderbeauftragter der EU für die Region der Großen Seen in Afrika.
taz: Was kann man tun, um im Kongo Sicherheit zu schaffen?
Aldo Ajello: Die Priorität ist die Reform von Armee, Polizei und Justiz. Die Armee ist schlecht bezahlt, schlecht ausgerüstet, wird nicht ernährt, hat keinerlei Disziplin. Sie wird von Offizieren geführt, die keine Ausbildung haben und in die eigene Tasche wirtschaften.
Im Kongo sind von 140.000 Soldaten der alten Bürgerkriegsarmeen noch nicht einmal die Hälfte in das Demobilisierungsprogramm gegangen. In Mosambik dagegen sind nach Ende des Bürgerkrieges in weniger als vier Monaten 90.000 Bürgerkriegskämpfer entwaffnet worden. Warum geht das im Kongo nicht?
In Mosambik war die Demobilisierung Sache der UNO, nicht der Regierung. Wir schufen Demobilisierungszentren unter unserer Leitung. So hatte keine Partei das Gefühl, die andere werde bevorzugt. Aber im Kongo hat die Weltbank durchgesetzt, dass die Regierung selbst den Prozess leiten sollte. Das war ein monströser Irrtum! Man hat die Demobilisierung in die Hände von Leuten gelegt, die daran gar kein Interesse hatten.
Aber die EU, also auch Sie, haben das akzeptiert.
Ich habe gegen dieses System gekämpft. Aber man sagte mir, Mosambik sei kein Modell und die Weltbank wisse besser Bescheid. Doch sie wusste überhaupt nichts. Irgendwann entdeckte sie, dass ihre eigenen Regeln ihr verbieten, Entwaffnungsprogramme zu fördern. Sie wollte zwar nach der Entwaffnung die Demobilisierten unterstützen, aber für die Entwaffnung selbst war sie nicht zuständig. Also gab es gleich zu Beginn eine Blockade. Daraus entstand das Problem, dass niemand wusste, wie viele Soldaten es gibt. Die Kriegsführer hatten an einer Zählung kein Interesse, sie blähten ihre Soldlisten auf und steckten das Geld der nicht existenten Soldaten selbst ein.
Die EU unterstützt über die Militärberatermission „Eusec“ die Armeereform im Kongo. Was hat das gebracht?
Eine ganze Menge. Wir haben die Soldzahlungsmechanismen neu geordnet. Früher gab die Zentralbank einfach dem Generalstabschef Geld; der behielt einen Teil und gab dem Rest den Stabschefs von Armee, Luftwaffe und Marine; die behielten einen Teil und gaben den Rest den regionalen Militärkommandanten und so weiter. So blieb für die einfachen Soldaten nichts mehr übrig. Wir haben die Zahlungsstränge von den Kommandosträngen getrennt. Die Bank überweist Geld direkt an die Brigaden. In jeder Brigade überwachen zwei europäische Berater die Auszahlung an die Soldaten. Als nächstes versuchen wir, einen Gesamtplan der zukünftigen Armee für die Geber zu erstellen. Den gleichen Prozess wird es für Polizei und Justiz geben.
Behindern die Spannungen in der Region die Entwicklung im Kongo?
Es gibt ein evidentes Problem: Neben dem großen reichen Kongo liegen zwei kleine dichtbesiedelte Länder ohne eigene Ressourcen, Ruanda und Burundi. Ohne eine regionale Entwicklung, in der die Ressourcen der Region zum gemeinsamen Nutzen aller dienen, wird es sofort wieder Krieg geben. Deshalb gibt es jetzt den Prozess der Friedenskonferenz für das Afrika der Großen Seen, nach dem KSZE-Modell in Europa, um die Bedingungen für die freie Bewegung von Menschen und Gütern zu schaffen. Im Osten des Kongo wären die Wahlen nicht so gut verlaufen, wenn Ruanda und Kongo nicht schon viel bessere Beziehungen hätten als früher. Ruanda spielt nicht mehr die Karte der Einmischung im Ostkongo, sondern die der Zusammenarbeit zwischen Regierungen. All die superklugen Experten der International Crisis Group, die immer sagen, die Gefahr für Kongos Frieden liege im Osten, haben nichts begriffen!
Und die Opposition in Kinshasa?
Wir mussten sie überzeugen, ihre Wahlniederlage zu akzeptieren. Wir sagten Jean-Pierre Bemba: Du hast 40 Prozent gewonnen, das ist ein Kapital, wirf das nicht weg, indem du das Wahlergebnis mit Gewalt in Frage stellst. Bemba hat sich auf das demokratische Spiel eingelassen. Dann aber begingen die Wahlsieger einen Fehler, indem sie alle Leitungsposten im Parlament besetzten. Wenn man der Opposition keinen Gestaltungsraum im Parlament lässt, wird sie wieder auf die Straße gehen. Und das bedeutet im Kongo Gewalt.
INTERVIEW: FRANÇOIS MISSER
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