Kampf um die Sprache

FLÜCHTLINGSDRAMA Nicolas Stemann inszeniert am Thalia Theater Elfriede Jelineks wütende Flüchtlingsklage „Die Schutzbefohlenen“. Heraus kommt ein verzweifeltes Ringen um Sprechposition und Repräsentation

VON ROBERT MATTHIES

Es ist ein verzweifeltes Ringen um Sprechenkönnen und Gehörtwerden, um einen Ort, an dem man eine Rolle spielen kann: „(…) wir sind und werden keine Bürger, wir haben auch keine Bürgen“, lässt die österreichische Dramatikerin Elfriede Jelinek den Chor der „Unangekündigten“ in ihrem Stück „Die Schutzbefohlenen“ klagen: „(…) wir haben nichts, für uns spricht niemand, und selbst sprechen wir auch nicht, nein, auch unsre Toten sprechen nicht, und schon gar nicht für uns (…)“ Also tut es Jelinek.

Europas Scheinheiligkeit

Ein dicht gewebtes assoziatives Konvolut ist ihr Text, auf der Grundlage von Aischylos’ Tragödie „Die Schutzflehenden“, Ovids „Metamorphosen“, der österreichischen Einbürgerungs-Wertefibel „Zusammenleben in Österreich“ des Staatssekretariats für Integration und einer Prise Heidegger. Wütend und wuchtig ist die sprachmächtige Klage über die Scheinheiligkeit eines Europas, das von Menschenrechten, Werten und Integration spricht und immer nur Ausgrenzung meint – für euch ist kein Platz: „Wir sind gar nicht da. Wir sind gekommen, doch wir sind gar nicht da.“ So endet der Text.

Jelineks Furor ist eine direkte Reaktion auf die unübersehbar gewordene Katastrophe an den Grenzen und inmitten der Festung Europa. Vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa waren im Herbst vorigen Jahres über 350 Flüchtlinge aus Nordafrika ertrunken. Ein Jahr zuvor besetzte eine Gruppe pakistanischer Asylbewerber die Wiener Votivkirche, weil trotz wochenlanger Proteste gegen die österreichische Migrationspolitik ihre „Stimmen nicht gehört worden“ seien.

Entstanden ist „Die Schutzbefohlenen“ im Zusammenhang mit der experimentellen Nachrichten-Theaterinstallation „Kommune der Wahrheit“ des Hamburger Regisseurs Nicolas Stemann, der seit zwölf Jahren eng mit Jelinek zusammenarbeitet und etliche ihrer Stücke zur Ur- und Erstaufführung gebracht hat.

In der „Kommune“ kam der Text aber nicht mehr auf die Bühne. Gelesen wurde er erstmals vor einem Jahr in der Hamburger St.-Pauli-Kirche, in der die als Lampedusa-Gruppe bekannt gewordenen afrikanischen Flüchtlinge untergekommen waren. Schließlich hat Stemann den Schutzbefohlenen ein eigenes Stück gewidmet.

Aber wie bringt man das klagende Wir in Jelineks Text auf die Bühne? „Damit hatten wir in den Gesprächen vorab ein Riesenproblem“, erzählt der Schauspieler Daniel Lommatzsch, einer von drei weißen Männern, die in Stemanns Inszenierung der Klage der Schutzbefohlenen ihre Stimmen leihen. „Wir dachten, wir können das nicht spielen.“ Ins Zentrum gerückt sei so die Frage nach der Repräsentation und dem Ort des Sprechens: Wie wird gesprochen – und wer über wen?

Echte Theaterprobleme

Und so sprechen erst mal Lommatzsch und seine beiden Kollegen Felix Knopp und Sebastian Rudolph, mal zusammen, mal gegeneinander. Dann aber wird ihre Position von weiteren Stimmen infrage gestellt: einem dunkelhäutigeren Mann (Ernest Allen Hausmann), schließlich von einer schwarzen und einer weißen Frau (Thelma Buabeng und Barbara Nüsse). „Dann geht es um Zuschreibungsgruppenbildung, um Frauen, Ausländer, was auch immer“, sagt Lommatzsch. „Erst mal auf einer realen Theaterebene, die zum Thema im Thema wird. Daran arbeiten wir uns ab und es bleibt die Frage, wie weit wir damit kommen.“

Nach der Uraufführung im April beim Mannheimer Festival „Theater der Welt“ jedenfalls musste Stemanns Inszenierung Kritik einstecken. Noch unausgegoren und zu glatt sei der Abend, zu viele Konflikte habe Stemann hineinpacken wollen. Letztlich werde daraus „kopfgesteuertes, pflichtironisches Diskurstheater“ (SZ) mit „Belehrungsgestus“ (Rhein-Neckar-Zeitung), wenn auch „auf der Höhe aller Intellektuellendebatten“ (Welt).

Vor allem aber stieß vielen auf, wie am Ende doch noch echte Flüchtlinge auftauchen. Statt ihre Erfahrungen einzubringen, habe man sie stehen gelassen, dienten sie letztlich nur als „Authentifizierungsnachweis“ (taz). Auch über das Auftauchen der Betroffenen sei vorab viel diskutiert worden, sagt Lommatzsch. Keinesfalls habe man eine Form vorgeben wollen, deutlich solle vielmehr werden, dass auch real Betroffene hier nur eine Rolle spielen können. „Das ist auch eine Diskussion im Text, dass die Rolle des Flüchtlings eine Zuschreibung ist, die von der Welt ausgeht, in die die Flüchtlinge kommen“, sagt er.

Auftritt des Realen

Problematisch sei in Mannheim aber gewesen, dass man nur vier Tage gemeinsam proben konnte. „Dann überrollt einen die Realität“, sagt Lommatzsch, „und man ist schnell wieder dabei, diese Menschen auszustellen.“ Beim Gastspiel in Amsterdam sei das anders gewesen. „Dort war es eine geschlossene Gruppe, die auch eine Kirche besetzt hat“, sagt er, „die haben eine ganz andere Struktur und Kraft.“

Man darf gespannt sein, wie der Auftritt des Realen am Freitag in Hamburg aussehen wird. Hier sollen Mitglieder der Lampedusa-Gruppe mitspielen – aber auch denen bleibt nur eine Woche Probezeit. Am komplexen Thema zu scheitern, sei aber legitim, findet Lommatzsch. „Das gehört zum Thema: Es ist ein furchtbares Scheitern, auf der weltpolitischen Bühne.“

■ Premiere: Fr, 12. 9., 20 Uhr, Thalia Theater; weitere Aufführungen: 14. + 16. 9., 11. + 12. 10., 1. + 2. 11.