Ohne Punkt und Komma

KUNST Zwei Jahre lang befassten sich 21 Blaumeier-Künstler mit den ganz großen Themen: Himmel, Hölle, Liebe und Tod liegen dabei oft überraschend nahe beieinander

Die Gruppe suchte nicht einen gemeinsamen Blaumeier-Stil, sondern jeder für sich nach künstlerischen Antworten zu den großen Fragen um Himmel, Hölle, Liebe und Tod

VON JENS FISCHER

Sie besuchten Museen, trafen sich als Malgruppe im Waller Studio oder naturbezaubert in Open-Air-Ateliers, bildhauerten auch mit der Motorsäge drauflos, puzzelten Worte zu Gedichten und bewegte Bilder zu Kurzfilmen. Stets inspiratorisch durchpulst von Ruhm und Elend des Orpheus, dem mythischen Sinnbild für die Wunder wirkende Kraft der Musik. Der singende Leierspieler überwand immerhin die Grenzen zwischen Leben und Tod, um seine Eurydike aus dem Reich des Hades zurückzuholen. Das Motto des zweijährigen inklusiven Projekts für 21 Blaumeier-Künstler lautete daher: „HimmelHölleLiebeTod“.

So modern ohne Punkt, Komma, Wortzwischenraum zusammengequetscht soll das wohl bedeuten: gehört alles zusammen. Hinfort mit der Dichotomie von lustig bunter, süß parfümierter Oberwelt – und traurig schwarzer, bitter abgeschmeckter Unterwelt. Solange die Zeit das irdische Streben regiert, ist der Tod mit an der Macht: Beide sorgen für ein permanentes Entstehen und Vernichten. Was bedeutet das für das Leben, was soll, was kann es sein? Was bleibt, wenn es schwindet? „Die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen“, zitiert Schauspielerin Martina Flügge den lebensweisen Albert Schweitzer in einem Filmdialog mit ihrem Bruder Oliver Flügge. Dieser haut als Schlagzeuger immer wieder dazwischen oder kommentiert mit versonnenem Mundharmonikaspiel die literarische Feier der Liebe als Brücke zwischen dem Land der Lebenden und Toten.

Den größten Platz aber nimmt in der Städtischen Galerie das Malen nach Vorbildern ein. Wer mag, kann entdecken, welche Kataloge und Ausstellungen welchen Künstler besonders beschäftigt haben. Die Gruppe suchte nicht einen gemeinsamen Blaumeier-Stil, sondern jeder für sich nach künstlerischen Antworten zu den großen Fragen um „HimmelHölleLiebeTod“. Die Ausstellung nähert sich von außen. Malu Thörens Werke sind im Eingangsbereich zu sehen, sie bildet den Himmel ab, malt in satten Farben Wolkenformationen, gottlos schön – und klettert in ihrem Video, dank digitaler Filmbearbeitung, an Pieter Bruegels Himmel und Hölle verbindendem „Turmbau zu Babel“ empor, Gott suchend.

Andere aus dem Team werden sehr persönlich, entblößen innere Höllen – depressive Zustände, Ahnungen, Träume. Auf der Suche nach ikonografischer Wirkung werden dabei gern Märchen und Mythen mit Symbolen und Metaphern surreal verwoben. Christian Plep leuchtet hingegen in großformatiger Informel-Manier einige finstere Winkel der Seelenlandschaft aus. Wie das funktioniert, sind sich alle einig. „Einfach Hirn abschalten und malen“, erklärt eine Künstlerin in der Filmdoku (liegt als DVD dem Katalog bei) und weiß nicht, warum da plötzlich ein Flamingo auf ihrem Bild zu sehen ist: „Ist einfach so gekommen.“

Und das ist viel, was da einfach so auf Papier und Leinwände kommt. Vor allem: vielfältig! Eine große Spannbreite an Techniken und stilistischen Verweisen. Bedingt durch einen häufig sinnlich zupackenden, rustikalen Umgang mit den Materialien. Kauzig naiver Expressionismus ist manchmal das Ergebnis. Für „LiebeTod“ geht’s auch charmant lakonisch. Colette Boberz gestaltet den Zusammenhang mit Ölkreide in Südseefarben à la Gaugin zu einem wandhohen Pop-Art-Comic. „Die Verkäuferin und der Koch“ sind zu sehen, „Kaffee. Disco. Kuss.“ steht dort und beschreibt das Bild ihres Zusammenkommens, im nächsten funkeln bereits „verliebte Sterne“ und das Liebesversprechen: „Bis uns der Tod zusammen hält!“

Der Tod! Mit Orpheus hinab zu den dunklen Gestaden führt Alfons Müller-Teser. Seine Bildmotive verschieben sich beim Malen in den Hintergrund, wie er es beschreibt, die höllische Schwarzpalette löst Strukturen und Kontraste langsam auf, nur in Nuancen schimmern sie noch in den Schattenbildern. Ähnlich arbeitet Uwe Kreutzkamp. Wie die alten Griechen den Hades beschrieben haben, malt er ihn: als ewigen Dämmer, in dem Verstorbene als fahler Traum erscheinen. Tod als Erlöschen der Farben und Formen, so entstehen Silhouetten im Leichengesicht der Dämmerung. Boleslaw Jankowski versucht den urängstlich besetzten Tod mit Voodoo-Zauber-Assemblagen zu vertreiben. Schließlich war auch Orpheus Gründer von Kulthandlungen, mit denen Schuld geheilt und Feinden jedweder Schaden zugefügt werden konnte. Da von seiner Musik selbst Bäume hin und weg gewesen waren und sich in Bewegung gesetzt haben sollen, bringen die Blaumeier-Kreativen auch Holzstämme zum Tanzen. Jankowski lässt zwei sich umarmen mit ihren Ästen. Helmut Mahlstedt schnitzt afrikanische Maskenantlitze hinein. Stüwe sägt so lange an einem Stamm herum, bis er innere Verletzungen, marode Stellen offenbart, die an der schlank in den Raum gebogenen Holzskulptur offengelegt sind. Da Orpheus zudem der Poesie kundig war, bieten einige Künstler ihre Verse im Ausstellungsraum dar. Prägnant gibt sich Carl F. – „Mein Herz, ich schenke es Dir./Habe ich dann keines mehr?“, so „Das Herz“ betitelte Gedicht, „Die Liebe“ geht so: „Ich liebe Schallplatten, Bürostempel, Gameboyspiele, Rubiks, Plastiskope und Schlüsselanhänger mit Werbung.“

Trotz all der bildenden Kunstantworten bleiben Fragen. Dass hier, wie Bremens Kultursenator der Presse mitteilt, „Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Behinderung oder psychische Erkrankung“ ausstellen, was bedeutet das für ihre Kunst? Für die Maßstäbe der Rezeption ihrer Kunst? Für die Bedeutsamkeit, den Marktpreis, die künstlerische Güte der Werke? Wenn man sie zwischen Max Ernst, Munch, Chagall, Polke, Schumacher, Beckmann, Bosch in die Kunsthalle hängen würde, fiele das auf? Und wenn ja: warum und wie? Vielleicht ist das der Reiz der Schau: Suche die Unterschiede, finde Irritationen und erkenne den Eigenwert der Bilder, Skulpturen, Gedichte, Filme.

■ bis Sonntag, 14. September, Städtische Galerie, Buntentorsteinweg 112