Der lange Arm der Türkei

Kurdische Exil-Politikerin in Hamburg festgenommen, obwohl sie in der EU als politischer Flüchtling anerkannt ist. Trotzdem soll Sakine Cansiz nun an die Türkei ausgeliefert werden

VON KAI VON APPEN

Die türkische Regierung hat bei der Verfolgung kurdischer Oppositioneller im Ausland Unterstützung von den Hamburger Strafverfolgungsbehörden bekommen. Am vorigen Montagabend ist die kurdische Exil-Politikerin Sakine Cansiz von einem 15-köpfigen Kommando der Polizei in einem Café auf der Piazza am Schulterblatt verhaftet worden, obwohl Cansiz seit 1998 politisches Asyl in Frankreich besitzt und als politischer Flüchtling in der Europäischen Union anerkannt ist.

Begründet wurde die Aktion mit einem Haftbefehl des türkischen Staatssicherheitsgerichts aus dem Jahr 2002. Die Anweisung zur Festnahme hatte die Generalstaatsanwaltschaft offenbar auf Wunsch des Bundesjustizministeriums gegeben. Cansiz befindet sich nun aufgrund eines „vorläufigen Auslieferungshaftbefehls“ des Hanseatischen Oberlandesgericht im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis.

Die Hamburger Justiz begründet ihr Vorgehen damit, dass nach Cansiz seit September 2002 mit internationalem Haftbefehl durch „Interpol Ankara“ wegen des Verdachts der „Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation“ gefahndet wird. Die Aktivistin des „Freien Frauenverbands Kurdistans“ soll demnach zwischen 1996 und 2002 in Guerilla-Ausbildungslagern im Irak und Syrien tätig gewesen sein. Auch soll sie zu den Führungskader der Kurdischen Arbeiterpartei PKK - KADEK gehört haben, die zwei Jahrzehnte lang bis vorigen Herbst einen zum Teil bewaffneten „Befreiungskampf“ gegen die Türkei geführt hat.

Laut Gerichtssprecherin Sabine Westphalen blieb dem Gericht keine andere Entscheidung, als die vorläufige Auslieferungshaft anzuordnen: „Es liegt kein Auslieferungshindernis vor.“ Denn nach deutschem Recht ist eine Auslieferung grundsätzlich zulässig, da die Unterstützung der PKK auch in Deutschland strafbar ist. Die Türkei muss jetzt binnen 40 Tagen ihr Auslieferungsbegehren begründen.

Für den Hamburger Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Norman Paech, ist das Vorgehen indes juristisch nicht haltbar. „Wenn sie in Frankreich politisches Asyl erhalten hat, gilt das für ganz Europa – auch für Deutschland“, sagt der emeritierte Professor für Völker- und Staatsrecht. Denn den Asylstatus habe sie erhalten, da sie in der Türkei aufgrund ihrer politischen Aktivitäten verfolgt werde.

Ob der Sachverhalt vor Ablauf der 40-Tagesfrist geklärt werden kann, ist unklar. „Es sind bislang keine Rechtsmittel eingelegt worden“, sagt Westphalen. Cansiz’ Anwältin Cornelia Ganten-Lange entgegnet, dass sie vor der Verkündung des Haftbefehls auf den Asylstatus hingewiesen habe. Außerdem seien die Staatssicherheitsgerichte mittlerweile vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geächtet worden.

Sollte Cansiz tatsächlich an die Türkei ausgeliefert werden, drohen ihr bis zu 22 Jahre Haft in einem der für Folter berüchtigten türkischen Staatssicherheitsknäste. Bereits nach dem Militärputsch 1980 saß sie zwölf Jahre in Diyarbakir in Haft.

Dass die Verhaftung zwei Tage vor Beginn des kurdischen Widerstands- und Frühjahrsfestes Newroz vollzogen worden ist, ist für einige kurdische Organisationen kein Zufall. Sie halten das für ein Indiz dafür, dass die Bundesregierung im Interesse des Nato-Partners Türkei nicht gewillt sei, eine politische Lösung der Kurdenproblematik und ein Ende des Kriegs in Kurdistan zu unterstützen.

„Mit der Verhaftung von Sakine Cansiz macht sie sich vielmehr zum Komplizen der Vernichtungs- und Verleugnungspolitik des türkischen Staates“, heißt es in einer Erklärung des Türkischen Volkshauses, des Vereins freier Frauen aus Mesopotamien und der Informationsstelle Kurdistan. Denn immer noch seien tausende kurdische Oppositionelle in Haft. „Und noch immer sind Folter und politische Morde vor allem gegen KurdInnen auf der Tagesordnung.“

Demo für die Freilassung von Sakine Cansiz und allen anderen politischen Gefangenen: Samstag, 31. März, 14 Uhr, Hachmannplatz am Hauptbahnhof