Eigentlich frei

Zwischen Orthodoxie und Wahlfreiheit: Premiere des Films „Jew by Choice“ im Jüdischen Museum

Ohne Not unterzieht sich Nachschon Baum, ehemals Nico mit Vornamen, der ersten Operation seines Lebens. Er lässt sich beschneiden. „Erklär das mal meiner katholischen Oma“, sagt er anschließend. Nachschon kommt unüberhörbar aus dem Ruhrpott und mangelnder Humor ist nicht sein Problem.

In „Jew by Choice“ geht es David Bernet und Robert Ralston um randständige Selbstentwürfe. Drei deutsche Christen konvertieren zum Judentum. Der Film zeigt ihre Ankunft in Israel und die einzelnen genau vorgeschriebenen Schritte, bis sie als Juden neu geboren sind. „Ich suche immer nach Menschen“, sagt Bernet, „die ein bestimmtes Lebens-Know-how anhäufen müssen, weil sie extreme Entscheidungen getroffen haben“.

Die Deutschlandpremiere des Films im Jüdischen Museum ist bestens besucht. Das Thema zieht, zweifellos. Natürlich liegt die Vermutung nahe, dass der Wunsch, Jude zu werden, aus deutscher Sicht vor allem bedeutet, den größtmöglichen Abstand zum „Tätervolk“ zu gewinnen. Und dies nicht durch eine politische Positionierung, sondern durch eine Identität, die männliche Autoritäten – namentlich der Rabi – gewähren können. Aber diese These verneinen alle drei Protagonisten.

Aus säkularer Sicht ist die eigenmächtige Wahl der Identitätsgemeinschaft kein Problem. Sofern man bereit ist, staatsbürgerliche Pflichten zu erfüllen, darf man sich in einem anderen Land neu erfinden. Wo also liegt der Unterschied?

Dieser leise, sorgsam und mit Humor gedrehte Film gibt keine Antwort, aber den Zuschauern einiges zum Aushalten auf. Er urteilt nicht und nimmt seine Protagonisten ernst. Denn Entscheidungen setzen sich aus vielen Elementen zusammen, und nur ein Bruchteil davon ist rationalisierbar. Die Konversion ist damit vor allem eine Einzelentscheidung. Zum Politikum wird sie erst durch das Befremden der anderen, welche die Konvention verteidigen.

Die ehemalige Richterin Yael Yenner erklärt süffisant, dass viele Übergetretene es mit den religiösen Vorschriften „lächerlich genau nehmen“. Denn Vorschriften seien das einzige, was noch sicher schiene. Genau hier liegt ein Problem: Alle drei Konvertierenden haben für sich das Recht in Anspruch genommen, ihr Leben nach einer emotional begründeten Vorstellung von sich zu bilden und umzubilden. Gleichzeitig verschreiben sie sich der Orthodoxie, welche diese Form von individueller Freiheit mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln aktiv bekämpft. Orthodoxie und Wahlfreiheit sind nun mal nicht vereinbar.

Exakt dieses Dilemma bildet der Film ab und formuliert damit unter der Hand ein Plädoyer für eine nicht konfessionsgebundene Lebensführung. Ein Plädoyer dafür, keine letzten Antworten zu haben. Insofern dürfte es kein Zufall sein, dass am Ende Yael Yenner die Dokumentation mit dem Satz beschließt: „Eigentlich sind wir doch auch eine positive Erscheinung.“ Eigentlich war schon immer ein alarmierendes Füllwort. INES KAPPERT

David Bernet, Robert Ralston: „Jew by Choice“. Deutschland/Israel 2007. Am 12. 4., 22.20 Uhr, auf arte