Mietpreise bremsen ohne Mietpreisbremse

NEUKÖLLN Das „Bündnis für bezahlbare Mieten Neukölln“ hat einen Anwohnerantrag für Milieuschutz im Reuterkiez initiiert. Die SPD im Bezirk ist sich noch uneins, ob sie das für ein probates Mittel hält

In Neukölln bekommt die Gentrifizierungsdebatte neuen Schwung: Das „Bündnis für bezahlbare Mieten Neukölln“ hat eine Unterschriftensammlung für einen Anwohnerantrag gestartet. Damit will es die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zwingen, über die Einrichtung eines Milieuschutzgebiets im Norden des Bezirks abzustimmen. „Gerade in Nord-Neukölln können sich Mieter Wohnungen nach Neuvermietung nicht mehr leisten“, sagt Andreas Berg vom Bündnis.

Kein zweiter Balkon

Mit einer „Erhaltungssatzung“ können Bezirke den Hauseigentümern Beschränkungen auferlegen, um die gewachsene soziale Mischung in einem Kiez zu erhalten – sprich: das Milieu zu schützen. Aufwendige Sanierungen, etwa der Anbau eines zweiten Balkons, der Einbau eines Aufzugs oder das Zusammenlegen von Wohnungen, können damit untersagt werden. Für eine Begrenzung der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen bedürfte es dagegen der sogenannten Umwandlungsverordnung, die der Senat bis heute nicht beschlossen hat. Zudem muss der Bezirk vor Einrichtung eines Schutzgebietes die soziale Zusammensetzung des betreffenden Kiezes untersuchen lassen und feststellen, inwieweit sie durch Aufwertung gefährdet ist. Mit einem Anwohnerantrag, den 1.000 EinwohnerInnen ab 16 Jahren unterschreiben müssen, wäre die BVV gezwungen, über diese Frage abzustimmen.

In Neukölln wird ein solches Schutzgebiet für den Reuterplatz seit Längerem diskutiert. Der Kiez ist seit Jahren sehr beliebt, die Miet- und Kaufpreise für Wohnungen und Häuser steigen rasant. Bislang stellen sich jedoch SPD und CDU in der BVV gegen Milieuschutz. Der grüne Vorsitzende des Bezirksausschusses für Stadtentwicklung, Jochen Biedermann, hält einen solchen Beschluss dagegen für dringend erforderlich. „Ich unterstütze jede Initiative, die den Druck erhöht. Die Tendenz ist, dass Gentrifizierung und Verdrängung in den Quartieren stärker zunimmt“, sagte er der taz.

Die Zeit ist reif

Aber auch bei der Neuköllner SPD könnte die Zeit reif zum Umdenken sein. Am Sonntag wollte sie in einer Klausurtagung der Fraktion die Milieuschutz-Frage diskutieren. Zum Ergebnis des Treffens wurde bis Redaktionsschluss nichts bekannt. Die Fraktion hatte untersuchen lassen, wie sich die Anwohnerschaft am Reuterplatz in den letzten Jahren verändert hat. Man wolle diskutieren, welche Schlüsse man aus dieser Untersuchung ziehe, erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende Lars Oeverdieck am Freitag. Er persönlich sei jedoch der Meinung, dass „der Milieuschutz am eigentlichen Ziel der Stadtentwicklung vorbeisteuert“. Das Problem müsse auf Bundesebene mit einer Mietpreisbremse gelöst werden.

Andere Stadtbezirke sind da weiter: In Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow existieren mittlerweile mehrere Milieuschutzgebiete, die eine heterogene Sozialstruktur in den Kiezen bewahren sollen. Tempelhof-Schöneberg hat vorigen Sommer zwei Kieze unter Milieuschutz gestellt, weitere sollen folgen. Mitte und Chralottenburg-Wilmersdorf prüfen derzeit mögliche Schutzgebiete. Im Bezirk Treptow-Köpenick war im Frühjahr ein Einwohnerantrag erfolgreich: Die dortige BVV stimmte dem Ansinnen der BürgerInnen zu und gab die Prüfung für ein Milieuschutzgebiet frei. Michael Schmitz von der Kungerkiez-Initiative e. V. in Alt-Treptow befürchtet nun allerdings einen schleppenden Verwaltungsprozess. „Die Prüfung soll noch ein halbes Jahr dauern. Ich fürchte, dass es dann für viele Mieter bereits zu spät ist.“

In Neukölln ist Initiator Berg derweil optimistisch, genug Unterschriften zusammenzubekommen. „Schon am ersten Wochenende haben Hunderte unterschrieben.“ JACOB TROMMER