in fußballland
: Nur eine Ahnung vom Spiel

CHRISTOPH BIERMANN begibt sich auf die Suche nach Filmschnipseln aus der Frühzeit der Fußballberichterstattung

Christoph Biermann (46) liebt Fußball und schreibt darüber

Welches Medium in den frühen Jahren des Fußballs auch immer besonders viel zur Popularisierung des Spiels beigetragen hat, der Film war es nicht. Wenn man sich auf die Suche nach bewegten Bildern aus der Frühzeit des Fußballs macht, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie eigentlich gespielt wurde, endet man vor einem Schnipselhaufen, der vor allem Ratlosigkeit hinterlässt.

So gab es im November 1924 ein Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft in Duisburg, und weil die Stadtväter damals so stolz auf ihr neues Stadion waren, ließen sie von der Partie gegen Italien einen Film anfertigen. Nur, man bekommt nicht die leiseste Ahnung davon, wie dieses Spiel war. Die Kamera war neben dem Tor aufgestellt worden und schwenkte so verzögert wie ratlos hin und her – zu erkennen ist nichts. „Deutschland unterliegt gegen Italien mit 0:1“, verkündet zum Schluss eine Bildtafel. Aha, gezeigt wurde weder der entscheidende Treffer noch der Jubel darüber.

Nun wollen wir nicht ungerecht sein, denn Kameras waren damals noch schwere Kästen und ihre Optik noch im Anfangsstadium. Vielleicht sollte man also einfach froh darüber sein, dass es bewegte Fußballbilder schon aus dem Jahr 1902 gibt, weil die Filmemacher Mitchell & Kenyon aus dem englischen Blackburn bereits damals verstanden, dass die Leute sich dafür interessierten. Sie führten ihre Filme in Pubs und Jahrmärkten vor, teilweise noch am Abend nach einem Spiel, weshalb die Bilder vom Spiel des FC Burnley gegen Manchester United (die damals noch Newton Heath hießen) allerdings gar nicht erst entwickelt wurden. Wer wollte schließlich abends die 0:2-Niederlage der Heimmannschaft sehen.

Da schaute man sich lieber den legendären William Henry Foulkes an, bekannt als „Fatty“ Foulkes. Der Torwart von Sheffield United wog beachtliche 140 Kilogramm und war ein Star der Frühzeit des englischen Fußballs. Er zog seine Sporthosen über den Wanst bis fast unter die Brustwarzen und inspirierte zu einem langlebigen Sprechchor. „Who ate all the pies?“, heißt es noch heute, wenn ein Spieler etwas stämmig wirkt. Foulkes war der Spott egal, „Hauptsache ich komme nicht zu spät zum Essen“.

Wie allerdings der Fußball seiner Zeit aussah, vermag man auch in den Bildern von Mitchell & Kenyon nicht zu erkennen. Gut hundert Spiele hatten sie im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gefilmt, aber vor allem sieht man Standardsituationen: Spieler betreten den Platz und machen den Anstoß, eine Musikband spielt in der Halbzeit und schräge Maskottchen, etwa kleinwüchsige Menschen, treten auf.

Weit darüber hinaus geht auch der Film nicht, den der Weltfußballverband Fifa zu seinem hundertsten Geburtstag vor drei Jahren vom ersten WM-Turnier 1930 rekonstruieren ließ. Die Bilder des Finales zwischen Uruguay und Argentinien wurden sogar liebevoll koloriert. Begeistert wurden Hüte geschwenkt, aber auch am La Plata ist der Ball im Bild eine Rarität.

Zwei Jahre später wird die Schnipseljagd endlich etwas besser, denn zum Endspiel um den englischen Pokal schleppt die britische Wochenschau „Movietone“ gleich mehrere Kameras ins Wembley-Stadion. So kann man das Führungstor des FC Arsenal aus gleich drei Perspektiven bestaunen, selbst eine Zeitlupe gibt es. Vor dem umstrittenen Ausgleichstreffer von Newcastle United zeigt ein Standbild, dass der Ball vorher nicht im Aus war. Weitere zwei Jahre kommen vom Finale 1934 sogar Luftbilder aus einem Zeppelin hinzu. Endlich sind ahnungsweise auch zusammenhängende Spielzüge zu erkennen, es ist wie ein Wunder. Vielleicht hätte man damals den Engländern die filmischen Dinge des Fußballs übergeben sollen, denn selbst die aufwändige Rekonstruktion des ZDF vom WM-Finale 1954 gibt nur eine Ahnung des Spiels wieder. Fritz Walter muss wirklich ein sehr eleganter Spieler gewesen sein. Liebrichs Abspielfehler vor dem Führungstor der Ungarn war jedoch haarsträubend und Kohlmeyers Rückpass vor dem 0:2 so miserabel, dass man wünschen würde, dass es davon nicht einmal Schnipsel gäbe. Fußball war damals eben vielleicht auch deshalb toll, weil man ihn weniger sehen und daher umso mehr schöner davon erzählen konnte.