Ein anderes Universum

Michael Phelps schwimmt bei den Weltmeisterschaften wieder einmal besser als je ein Athlet zuvor. Eines jedoch wird ihm verwehrt bleiben: ein Duell mit Australiens Nationalheros Ian Thorpe

AUS MELBOURNE ANDREAS MORBACH

Bob Bowman ist ein witziger Zeitgenosse. Wenn der Mann, der seit mittlerweile zehn Jahren das größte Schwimmwunder auf diesem Globus coacht, etwas erzählt oder erklärt, dann blinzeln hinter den Brillengläsern des Amerikaners intelligente Äuglein hervor. Bowman ist aufmerksam, mitteilsam – und was er sagt, ist manchmal unterhaltsam und fast immer inhaltsreich. Das ist ein großer Unterschied zu den eintönigen öffentlichen Auftritten seines Schülers Michael Phelps. Der 21-jährige Student des Sportmanagements, seit Dienstagabend Weltrekordhalter in vier Disziplinen und drei unterschiedlichen Schwimmstilen, mag ein begnadeter Schwimmer sein, als Entertainer taugt er dagegen herzlich wenig.

Aber dafür hat er ja Bob Bowman. Der Trainer hatte Phelps bei dessen atemberaubendem Sieg gegen den Niederländer Pieter van den Hoogenband („Das war Schwimmunterricht für mich“) über 200 m Freistil in ein „anderes Universum“ schwimmen sehen.

Eine überirdische Leistung mit einem ganz besonderen Reiz: Phelps, der gestern Abend über 200 m Schmetterling in einer weiteren fantastischen Weltrekordzeit (1:52,09 Minuten) zu seinem zweiten Einzelgold in Melbourne flog, hatte damit den eigentlich für die Schwimmewigkeit gedachten Weltrekord des Australiers Ian Thorpe ausgelöscht. Und das Einzige, was Phelps am Dienstag im Susie O’Neill Pool zum ganz großen Glück fehlte, war – Ian Thorpe.

„Ich wollte unbedingt noch einmal gegen ihn in Australien schwimmen. Das war immer in meinem Kopf, wenn ich morgens aus dem Bett gestiegen bin“, betonte er. Denn ein direktes Duell mit Thorpe (24), der sich vor vier Monaten vorzeitig in die Schwimmerrente verabschiedet hat, hätte auch die Arbeit der australischen Medien erleichtert: So fand es die Tageszeitung The Age in ihrer Samstagausgabe an der Zeit, die alles entscheidende Frage zu stellen: Wer ist der größte Schwimmer aller Zeiten – Ian Thorpe oder Michael Phelps?

„The great debate“, titelte das Blatt staatstragend. Drei Tage später warf Phelps mit seinem Triumph über 200 m Freistil dann ein gewichtiges Argument in diese Debatte. Und während sein Eleve schon beim nächsten Wassereinsatz (Halbfinale über 200 m Schmetterling) war, erzählte Bob Bowman fast beiläufig, wie man sich als Michael Phelps mit sechs Olympiasiegen, 13 Weltmeistertiteln und seit gestern 18 Weltrekorden motiviert: „Er hat eine Zeit lang einfach Rekorde gebrochen. Aber hier hat er einmal etwas anderes ausprobiert.“

Das heißt: Wenn einen das Lagen- oder Schmetterlingschwimmen vor lauter Konkurrenzlosigkeit irgendwann ermüdet, nimmt man sich eben die nächste Disziplin vor. Gerade ist das Freistilschwimmen an der Reihe – und Bowman erntet die Früchte seiner Trainerphilosophie: Seit er 1997 die Betreuung des damals elfjährigen Phelps übernahm, bestand Bowman darauf, regelmäßig alle vier Schwimmarten auf das Übungsprogramm zu setzen.

Das Resultat der verordneten Vielseitigkeit im Alltag: Michael Phelps hält heute die Weltrekorde über 200 m Schmetterling, 200 m Lagen, 400 m Lagen und 200 m Freistil, steht über 200 m Rücken mit der zweitschnellsten je geschwommenen Zeit in den Rekordlisten – und kommentiert den Rücktritt Thorpes’ vom vergangenen November mit dem sehr wahren Satz: „Er hat sich als einer der größten Freistilschwimmer aller Zeiten verabschiedet.“

Diese Eintönigkeit dürfte mit ein Grund dafür gewesen sein, warum Thorpe vergleichsweise früh die Lust am Spitzensport verloren hat. Bei Michael Phelps, der gerade signalisiert hat, auch bei Olympia 2012 in London noch an den Start zu gehen, sieht das deutlich anders aus: Bei der täglichen Arbeit mit Bob Bowman in Ann Arbor im Bundesstaat Michigan hat der Weltschwimmer der Jahre 2003, 2004 und 2006 zuletzt verstärkt Krafttraining gemacht.

„Das hilft bei der Geschwindigkeit und gibt ihm mehr Kraft bei den Bewegungen unter Wasser“, sagt Bowman. In Verbindung mit der angeborenen „Flexibilität in den Knöcheln“ sorgt das für endlose Rekorde – und ungebrochenen Spaß am Sport.