Debatte um den letzten Willen

Im Bundestag herrscht Uneinigkeit über die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung, quer durch die Parteien. Die Ärztekammer will gar kein Gesetz

VON ANNA LEHMANN

Die alte Dame hatte kein gutes Gefühl. Nach ihrem Schlaganfall war sie in die Klinik eingeliefert worden, die Ärzte schlugen eine Operation am Gehirn vor. Schon vorher hatte sie schriftlich ihren Wunsch bekundet, nicht an Maschinen angeschlossen zu werden, sollte sie ins Koma fallen. Ihre Vorahnung erfüllte sich: Nach der Operation wachte sie nicht wieder auf. Doch die Ärzte setzten sich über ihre Patientenverfügung hinweg. Seit eineinhalb Wochen liegt die Frau in tiefer Bewusstlosigkeit und wird künstlich ernährt und beatmet.

Etwa 7 bis 9 Millionen Deutsche haben eine solche Verfügung gemacht, in der festgehalten ist, was mit ihnen passieren soll, wenn sie selbst nicht mehr ansprechbar sind. Ärzte können diese Verfügungen als Hinweise sehen, müssen sie aber nicht umsetzen. „Eine einheitliche Regelung zum Umgang mit Patientenverfügungen würde Patienten und Ärzten mehr Sicherheit geben“, glaubt Patientenberaterin Judith Storf, deren Beratungsstelle die Kinder der alten Frau aufsuchten. Der weitere Weg führt dann oft übers Gericht, das im Einzelfall entscheidet.

Das soll sich ändern. Politiker aller Parteien wollen den Umgang mit Patientenverfügungen per Gesetz verbindlich regeln. Heute steht eine Grundsatzdebatte im Bundestag an. Sie verspricht spannend zu werden, denn die Lagerbildung ist noch im Gange, die Fronten ziehen sich quer durch die Fraktionen. Eine Gruppe um Unions-Vizefraktionschef Wolfgang Bosbach will Patienten nur dann die letzte Entscheidung überlassen, wenn ihr Leiden „einen unumkehrbar tödlichen Verlauf genommen hat“, so der entsprechende Antrag, den Politiker der SPD, der Grünen und sogar der FDP unterschrieben haben und der letzte Woche veröffentlicht wurde.

Ein zweites, parteiübergreifendes Lager sammelt sich hinter einer Position, wie sie der rechtspolitische Sprecher der SPD, Joachim Stünker, in einem Gesetzentwurf formuliert hat. Demnach soll die medizinische Behandlung abgebrochen werden, wenn dies in der Patientenverfügung gewünscht werde – und zwar „unabhängig von Art und Stadium der Krankheit“. Ein Vormundschaftsgericht soll nur im Fall des Dissenses zwischen Arzt und Betreuer eingeschaltet werden, selbst wenn die Verfügung nicht eindeutig ist.

Schon vor zwei Jahren hatte die FDP einen ähnlich lautenden Antrag eingebracht. Die Linie der Liberalen ist seitdem offiziell: Der Wille des Patienten gilt immer und überall. „Kein Patient muss zulassen, was der Arzt ihm Gutes zu tun meint“, begründet FDP-Rechtsexpertin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gegenüber der taz diese Haltung. Einschränkungen, etwa bezogen auf den Krankheitsverlauf, würden jede Form von Vorabbekundungen zunichtemachen und könnten Zwangsbehandlungen nach sich ziehen. Die Grünen-Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk schließt sich an: „Wenn wir solche Einschränkungen zuließen, hätten wir die gleiche Situation wie jetzt.“

Auch die Ärztekammer vertritt generell die Auffassung, dass der Patientenwille immer zu beachten sei. Ihr Präsident Jörg-Dietrich Hoppe wehrt sich aber gegen eine Gesetzesregelung. So zeige die Erfahrung, dass gesunde Menschen Entscheidungen träfen, die sie als Kranke bereuten. „Jemand, der mit 25 erklärt, er möchte nach einem Unfall keine lebensverlängernden Maßnahmen, kann eine andere Auffassung haben, wenn tatsächlich ein Unfall passiert.“ Am Krankenbett gelte es dann, zusammen mit den Angehörigen den mutmaßlichen Willen des Bewusstlosen zu ermitteln. „Das kann uns kein Gesetz abnehmen“, sagt Hoppe. Er plädiert dafür, nur zu regeln, wie Verfügungen abgefasst sein müssen, und den Rest denen zu überlassen, die täglich mit dem Ernstfall konfrontiert sind – den Ärzten also.

Aber auch innerhalb der Ärzteschaft scheiden sich die Geister. Er finde die Debatte wichtig, weil sie dazu führe, dass Ärzte sensibler mit Rechten und Pflichten des Patienten umgingen, meint Christof Müller-Busch. Er leitet die Palliativmedizinische Abteilung des Krankenhauses Havelhöhe in Berlin. Müller-Busch und seine Mitarbeiter betreuen Menschen, deren Leiden nur noch gelindert, nicht mehr geheilt werden können. Mit Patientenverfügungen habe er oft zu tun. „Wir begreifen sie als Anregungen, was der Patient in dieser Situation wollen könnte.“

Im Zweifelsfall würde er sich als Arzt natürlich dafür entscheiden, Patientenleben zu retten, selbst wenn die Verfügung anders lautet. Bei einem Unfall etwa. „Aber der Wille eines Menschen, der sich intensiv mit seiner Krankheit auseinandersetzt, sollte ernst genommen werden“, wägt er ab. Und das auch bei Krankheiten, die nicht gleich als unheilbar gelten. Denn wann eine Krankheit unausweichlich tödlich endet, sei ganz schwer zu diagnostizieren und werde unter Medizinern heftig diskutiert. Letztlich sei das ganze Leben irreversibel tödlich, meint Müller-Busch: „Aber am Ende sollten wir das Sterben nicht behindern.“