EL SARRAZIN TREIBT SEIN UNWESEN AN DEN TRESEN DER ORANIENSTRASSE
: Auf der Achse der Guten ist auch nicht mehr alles so, wie es mal war

In Kreuzberg schwallen die Sarrazinisten ungefragt die Leute voll

VON HELMUT HÖGE

Die „Sarrazinisten“ sind auf dem Vormarsch – jedenfalls in Kreuzberg. In den Kneipen links und rechts der Oranienstraße sitzen sie an der Theke und schwallen die Bedienungen mit Despektierlichem über Türken und Araber voll. Die mögen sie nicht, die beeinträchtigen ihre „Lebensqualität“. Das muss man doch mal sagen dürfen.

Der Politologe Hamed Abdel-Samad versuchte sich auf dem taz-Medienkongress an einer Sozialanalyse dieses islamophoben Protestpotenzials, das er in der Schnittmenge zwischen einer schweigenden Mehrheit und einer kritischen Masse (von Neonazis) verortete, um sodann eine neue Altersdifferenz aufzumachen: „die 60-plus-Generation“.

Sie werden nun abserviert, sei es, weil sie starrsinnig keinen E-Mail-Anschluss haben wollen, sich Handys verweigern und Facebook ablehnen oder weil sie von den nachdrängenden Jüngeren aus ihren Jobs gemobbt werden. Es gibt schon zwei Romane, die sich dieses Phänomens am Beispiel alternder Schriftsteller annehmen, wobei auch gleich noch die junge „Facebook-Generation“ ihr Fett abbekommt, denn die Autoren gehören selbst zur „Generation 60 plus“: zum einen den Trivialroman „Rumbalotte“ des Krimischriftstellers Horst Bosetzky und zum anderen Silvia Bovenschens neuen Roman, „Wie geht es Georg Laub?“. Für ihre beiden Hauptfiguren gilt Novalis’ Diktum: „Abwärts treibt der Sinn!“, das heißt, wegen des nachlassenden Interesses an ihren Büchern steigen sie irgendwann aus dem Literaturbetrieb aus – und verkrümeln sich in die Uckermark, wohin sich schon so viele Kulturschaffende verzogen haben.

Ganz anders die islamophoben „Panikmacher“ (P. Bahner), die tapfer in den Türken- und Araberhochburgen Berlins ausharren – und Kraft aus Nörgeln schöpfen. Ihr Anführer nennt sich ironisch El Sarrazin. Der wie eine Mischung aus Wolfgang Joop und Christa Wolf aussehende 66-Jährige, der eigentlich Uwe heißt, residierte lange im Café „Jenseits“ am Heinrichplatz, wo er den Wirt so lange mit rassistischen Meinungen, haltlosen Deduktionen und idiotischen Statistiken vollquatschte, bis dieser 2010 seinen „beliebten Scenetreff“ (Zitty) zermürbt aufgab. Seitdem ist El Sarrazin quasi heimatlos, was ihn aber nicht hindert, seine „Islamkritiker“ (FAZ), wo er steht und trinkt, mit immer neuen „Sarrazynismen“ (taz) gegen Ausländer zu munitionieren.

Seit den arabischen Aufständen wird er jedoch kleinlauter. Neulich erfuhr ich von ihm, wie immer ungefragt, dass es schlimm enden werde. Ich dachte, jetzt kommt das Arschloch auf die tunesischen Migranten in Lampedusa zu sprechen, die in Wellen gegen die Festung Europa anbranden. Aber nein, er versicherte mir und allen Umstehenden, dass jetzt – nach den Aufständen im Nahen Osten – die hier lebenden Araber alle erst recht ihr freches Haupt erheben. Dieses ihnen sozusagen in den Schoß gefallene neue Selbstbewusstsein habe bereits dazu geführt, dass der Berliner Clubrat seinen Ukas an die Türsteher, keine Araber mehr reinzulassen, feige zurückgenommen habe, und dass die ganzen Partyblondinen plötzlich wie wild auf Araber sind: „Die schnappen sich einen nach dem anderen!“

Um mich herum nickte alles traurig. El Sarrazin ist schon lange ein Fan des faschistischen Kriegsberichterstatters Curzio Malaparte, und so wunderte es mich nicht, dass er dazu ein passendes Zitat von ihm parat hatte – es betraf die Situation nach der deutschen Niederlage 1945, als die Amis in Kreuzberg und Neukölln einrückten: „Die Leute hatten sofort diesen prachtvollen, jungen, schönen Soldaten mit weißen Zähnen und roten Lippen Zuneigung entgegengebracht. […] Die Ersten, die der Ansteckung erlagen, waren die Frauen.“

Den letzten Satz zischte El Sarrazin nur noch. „Neulich habe ich sogar schon Klara, die nette Blondine aus dem Film „Prinzessinnenbad“, im Arm eines Arabers auf der ‚O‘ gesehen. Verdammte Scheiße“, fügte er hinzu. Ich versuchte ihn zu trösten: „Die ist doch viel zu jung für dich.“ – „Ach, darum geht’s doch gar nicht“, erwiderte er. Wie sich herausstellte, war Klaras „Araber“, der eigentlich Iraner ist, durch einen dummen Zufall der Fallmanager von El Sarrazin im Jobcenter geworden. Darum ging’s.