berliner szenen Gerade geschafft

Gästelisten-Discounter

Ich habe es gerade noch so reingeschafft. Hinter mir wird dichtgemacht. Ein kräftiger Mann bewacht nun den Eingang zum mittelgroßen Supermarkt im S-Bahnhof Friedrichstraße. In aller Seelenruhe und als käme das öfter mal vor, pinnt er ein Schild an die Supermarkttür: Wegen Überfüllung geschlossen.

Eine Gruppe Jungstouristen, deren kahl geschorene Köpfe von Baseball-Caps schlechter Labels nur halb verdeckt sind, lärmen auf der Suche nach Alkopops dem Markt entgegen. Sie bleiben stehen, wie angewurzelt schauen sie auf das Schild und sind zum ersten Mal wirklich beeindruckt von der Hauptstadt. Nicht die viel zu alten Sehenswürdigkeiten, nein, dass ein normaler Supermarkt an einem normalen Mittwochabend schließen muss, weil zu viele Menschen dort einkaufen wollen, das lässt sie verstummen und ehrfürchtig abtreten.

Andere Menschen mit alltäglicheren Bedürfnissen und ohne Baseballkappen lassen sich nicht so leicht abschütteln. Sie bilden eine Warteschlange und werden nun vom Türsteher herumdelegiert, der dies sichtlich genießt. Erst wenn Leute aus dem Markt gehen, lässt er kleine Menschengrüppchen hinein. Es sieht aus wie Gesichtskontrolle. Was würde wohl passieren, wenn nun Joschka Fischer vorbeikäme? Der kauft hier bekanntlich manchmal nach der Arbeit ein, natürlich möglichst inkognito. Würde er nun seine Kapuze vom Kopf ziehen, wie Robin Hood, und sich vom Türsteher – man kennt sich – durchwinken lassen, wie einer, der sich seine Orden im Nachtleben verdient hat?

Als ich mit vollen Tüten den Laden verlasse und der genervten Schlange vorm Supermarkt einen letzten Blick schenke, meine ich, ein „Gästeliste!“ gehört zu hören. TIMO FELDHAUS