„Schulen müssen offener werden“

Lehrern werde nicht beigebracht, wie sie mit Migranten arabischer Herkunft umgehen sollten, beklagt Ahmad al-Sadi. Schulen müssten auch anders auf deren Eltern zugehen

AHMAD AL-SADI, 58, Wirtschaftswissenschaftler mit langjähriger Berufserfahrung in der Sozialarbeit, kümmert sich seit einem Jahr ehrenamtlich um die arabischen Eltern an der Rütli-Schule.

taz: Herr al-Sadi, waren die Eltern arabischer Herkunft über den Brief der Rütli-Lehrer eigentlich überrascht?

Ahmad al-Sadi: Nein. Sie kannten die Probleme. Die Rütli-Schule ist ja auch kein Einzelfall. Sie hatte nur eine mutige Direktorin, die mit ihrem Brief eine Diskussion entfacht hat. Dafür sollten wir ihr dankbar sein.

Die Eltern arabischer Herkunft haben sich in der Rütli-Debatte kaum zu Wort gemeldet. Warum?

Die ganze arabische Community hat nicht reagiert. Die Eltern selbst sind mehrheitlich nicht in der Lage, sich öffentlich artikulieren. Viele sprechen kaum Deutsch und haben null Ahnung vom deutschen Bildungssystem. Es wäre die Aufgabe der arabischen Vereine gewesen, sich für die Eltern einzusetzen. Aber das haben sie nicht getan.

Warum nicht?

Es gibt eine Kluft zwischen den Intellektuellen, die in diesen Vereinen aktiv sind, und den Flüchtlingsfamilien, die in ganz anderen Verhältnissen leben. Viele haben wenig Kontakt zur deutschen Gesellschaft.

Stellen die Schulen diesen Kontakt nicht her?

Eindeutig nein.

Was machen sie falsch?

Es gibt in Berlin Schulen mit 100-prozentigem Migrantenanteil. Die Rütli hat mehr als 80 Prozent. Lehrern wird bis heute in der Ausbildung nicht beigebracht, mit dieser Situation umzugehen. Und später hängt es von jedem Einzelnen ab, ob er sich damit befasst.

Was müssten sie dazu denn wissen oder können?

Sie müssen mindestens etwas über die Herkunft, die Hintergründe dieser Menschen wissen, die sie unterrichten sollen. In den arabischen Familien spielen der Nahostkonflikt, der Irakkrieg eine große Rolle. Die Kinder kehren nach der Schule in eine andere Welt zurück. Das müssen wir beides ändern: Die Zustände in den Familien und die Kompetenzen der Lehrer.

Haben Sie den Eindruck, dass die Lehrer dazu überhaupt bereit sind?

Ich würde übertreiben, wenn ich nein sagen, und auch, wenn ich ja sagen würde. Aber es sind nicht nur die Lehrer: Schule insgesamt muss offener werden. Sozialarbeiter, Jugendamtsmitarbeiter sollten ihre Sprechstunden in die Schulen verlegen statt in Ämtern zu sitzen. Oder die berühmten Elternabende und Elternsprechtage: Das ist doch ein total veraltetes System. Schule muss immer offen und für die Eltern da sein.

Ist die Rütli-Schule jetzt für die Eltern offen?

Ja.

Was hat sich geändert?

Wir haben beispielsweise kürzlich einen Informationsabend für arabische Eltern veranstaltet. Da haben wir die ganze Familie eingeladen: Von den Geschwistern bis zur Oma der Kinder war jeder willkommen. Alle haben etwas zu essen mitgebracht, und dann haben wir im Kreis gesessen und uns unterhalten. 9 von 14 eingeladenen Familien sind gekommen. Die Eltern fühlten sich zum ersten Mal als Menschen ernst genommen.

Was muss man noch tun, um arabischen Eltern Teilhabe zu ermöglichen?

Wir müssen ihnen helfen, diese Gesellschaft zu verstehen. Schule bietet da große Chancen, denn über sie kommen wir an die Eltern heran.

INTERVIEW: ALKE WIERTH