Oval der Ansprüche

Heute kämpft der deutsche Vierer bei der Bahnrad-WM um eine Medaille, die seit 2003 unerreichbar scheint

BERLIN/PALMA taz ■ Man könnte meinen, die deutsche Auswahl hätte bei der seit gestern laufenden Bahnrad-WM in Palma einen Heimvorteil. Mallorca ist ja bekanntlich das siebzehnte Bundesland. Doch obwohl sich derzeit tausende von deutschen Touristen auf der Insel befinden, scheint es unwahrscheinlich, dass sich die Fernreisenden in die nagelneue Palma-Arena begeben, um schwarz-rot-goldene Fahnen zu schwenken. Deutschland interessiert sich kaum für den Bahnradsport.

Der Grund: Erfolge der Athleten des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) sind eher selten geworden. Besonders in der 4.000-Meter-Mannschaftsverfolgung, einer Disziplin, die lange Jahre als Domäne der Deutschen galt, konnte man zuletzt nicht mehr überzeugen. Sieben Jahre ist es nun her, dass Deutschland beim „Bahnvierer“ eine Goldmedaille gewann – die längste Durststrecke aller Zeiten. Zum Vergleich: Zwischen 1962 und 2000 gewannen BDR-Teams bei 33 Weltmeisterschaften zwölfmal Gold. Im Schnitt standen sie bei jeder dritten WM ganz oben. Zusätzlich holten die deutschen Viererfahrer fünfmal Olympiagold.

Der Skandal um den Bahnvierer bei der WM 2003 in Stuttgart brachte jedoch die Wende zum Schlechten. Unmittelbar vor Beginn des Turniers im Schwabenland wurde Bahnradlegende Jens Lehmann mit dem zu diesem Zeitpunkt etwas schwächeren Robert Bartko für die Einerverfolgung ersetzt. Als auch noch Guido Fulst für den eigentlich nominierten Sebastian Siedler ins Viererteam rückte, erklärten Lehmann und sein Mannschaftskollege Daniel Becke, dass sie unter diesen Bedingungen nicht bereit seien, mit Bartko und Fulst zu starten. Der BDR beschloss, seinen Bahnvierer abzumelden und die „Rebellen“ Lehmann und Becke zu sperren. Seitdem fuhr keiner der beiden mehr bei einer Mannschaftsverfolgung für Deutschland.

Auch in diesem Jahr wirken nur die Berliner Bartko und Fulst im Quartett von Bundestrainer Freese mit. An ihrer Seite werden Leif Lampater (Heilbronn) und Robert Bengsch (Berlin) heute für Deutschland starten, erst in der Qualifikation, am Abend möglicherweise im Finale. Jens Lehmann, der 2005 seine Laufbahn als erfolgreichster deutscher Bahnradsportler aller Zeiten beendete, beschäftigt sich mittlerweile lieber mit der Politik. Mit einem Mandat der CDU gehört er dem Leipziger Stadtrat an. Natürlich sei er „nicht mehr so nah dran“, erklärt Lehmann der taz, aber das Rennen werde er dennoch verfolgen. Seinen früheren Teamkollegen Daniel Becke wird er wohl nicht auf der Bahn sehen. Becke gibt zwar sein Comeback im BDR-Team, hat jedoch nur minimale Chancen auf die Teilnahme am Vierer. Um Bundestrainer Uwe Freese umzustimmen, müsse Becke im Einer schon „sensationell schnell“ fahren, so Freese. Für Lehmann ist Becke freilich schnell genug. Immer wieder betont der Ex-Profi, dass „die Besten auch eingesetzt werden sollten“.

Sportdirektor Burkhard Bremer glaubt derweil, Becke sei eher ein Kandidat für die Zukunft, besonders mit Hinsicht auf Olympia. Doch nur über die WM auf Mallorca kann sich die deutsche Mannschaft für Peking 2008 qualifizieren; ein positives Ergebnis am heutigen Tag ist daher wichtig. Bremer ernennt das kleine Finale zum Ziel: „Die Konkurrenz ist stark, aber wir wollen wieder um eine Medaille mitfahren.“ Das ist ein bescheideneres Ziel als noch vor fünf Jahren.

Im Gegensatz zu Lehmann streitet Bremer ab, dass diese Bescheidenheit sowie die Misserfolge der letzten Jahre Auswirkungen des Skandals von 2003 seien. Für den Sportdirektor sind vielmehr die Abgänge schuld. „Zu viele Bahnradsportler wechseln auf die Straße“, sagt Bremer. Auch das nachlassende Interesse der Radsportanhänger habe nichts mit dem Skandal von Stuttgart zu tun, sondern eher mit der geringen Berichterstattung in den Medien und der „unattraktiven wirtschaftlichen Seite“. MARCO WOLDT