„Als Oma nicht mehr auf der Laufbahn“

1972 sprang die damals 25-jährige 6,78 Meter zum Gold, wurde zweite im Fünfkampf und siegte mit der bundesdeutschen Staffel als Schlussläuferin über 100 Meter. Ein Jahr später hörte sie auf mit Leistungssport. Heute: Ecker-Rosendahl, 60, wohnt in Leverkusen mit Ehemann und Ex-Basketballspieler John Ecker. Nach 14 Jahren als Trainerin bei Bayer Leverkusen, acht Jahren im Präsidium des Leichtathletikverbands arbeitet sie als Geschäftsführerin in der Ernährungsbranche und betreibt Fitnessstudios. Besonderes Kennzeichen: Sohn Danny ist Halleneuropameister im Stabhochsprung. CSC

INTERVIEW LUTZ DEBUS

taz: Frau Ecker-Rosendahl, Frau Nasse-Meyfahrt, schauen Sie sich heute den Boxkampf Henry Maske gegen Virgil Hill an?

Ulrike Nasse-Meyfahrt:Ich weiß nicht, ob der so spannend ist.

Heide Ecker-Rosendahl: Ich bin zumindest nachts für einen Boxkampf bislang nicht aufgestanden. Mein Mann guckt sich Boxkämpfe schon mal an, und dann guckt man mit. Aber ich bin nicht sehr wild drauf.

taz: Gibt es zwischen den Sportarten Boxen und Leichtathletik Gemeinsamkeiten?

Nasse-Meyfarth: Wir Leichtathletinnen haben alle noch schöne Nasen. Bei uns gibt es keinen direkten Körperkontakt. Deshalb haben wir uns diesen Sport ja auch ausgesucht.

Ecker-Rosendahl: Ich hätte nie das Interesse, jemanden umzuhauen, um zu gewinnen. Ich war nur froh, wenn ich mal ein bisschen schneller und weiter war im Stadion.

Ist es schwer, sich vom Leistungssport zu verabschieden?

Nasse-Meyfarth: Mir fiel es damals nicht schwer. Ich hatte mich schon während meiner aktiven Zeit auf ein Leben ohne Leistungssport eingestellt und ich konnte mit einem Erfolg abtreten. Man sollte sowieso den richtigen Zeitpunkt finden. Zu meiner Zeit hatte man pünktlich aufzuhören, also mit Ende Zwanzig.

Ecker-Rosendahl: Ich wollte als Oma nicht mehr auf der Laufbahn rumrennen. Und alles, was älter als 25 war, war für mich damals eine Oma.

Heute hören Sportler deutlich später auf.

Ecker-Rosendahl: Ob das dann solche Extreme sein müssen wie bei der Sprinterin Merlene Ottey? Es ist ja toll, dass man mit 46 noch laufen kann, aber das muss man doch nicht mehr präsentieren. Ottey ist früher mal 100 Meter unter 11 Sekunden gelaufen. Heute freut sie sich, wenn sie mal eine 11:40, 11:50 läuft. Das ist für ihr Alter gut, aber nicht mehr wettkampfgerecht. Sie hat ja sogar ihre Nationalität gewechselt, um weiter laufen zu können.

Die Zeiten haben sich geändert weil es um mehr Geld geht?

Ecker-Rosendahl: Ich habe 1973 aufgehört. Damals gab es den Amateurparagrafen. Da wurden die Geldzuwendungen noch mit Argusaugen beobachtet. Wir durften nicht mehr Fahrtkosten erstattet bekommen als eine Fahrkarte in der 2. Klasse bei der Bundesbahn kostete. Das war auch in Ordnung. Wir mussten unseren Lebensunterhalt auf andere Art verdienen. Heute können Leistungssportler mit ihrem Einkommen ihren Lebensunterhalt bestreiten. Viele Athleten schaffen es nicht rechtzeitig, dafür einen Ersatz zu finden. Mit Leichtathletik verdient man ja wiederum nicht die Summen, um für später genug zurück zu legen.

Nasse-Meyfarth: Vielen Athleten ist gar nicht klar, dass man die meiste Zeit seines Lebens ohne Leistungssport lebt.

Fällt Männern der Abschied schwerer als Frauen?

Nasse-Meyfarth: Den Eindruck habe ich. Für viele Männer ist es schwerer, in eine Normalität, in eine Anonymität zurück zu müssen. Wir beide haben wohl nie diese Schwierigkeiten. Wir werden immer wieder ausgegraben.

Wofür wird Leistungssport betrieben?

Ecker-Rosendahl: Man macht sich gar keine Gedanken, warum man das macht. Man fängt als kleiner Dötz an und läuft schneller als die anderen und springt höher und weiter als die anderen. Und dann nimmt man an Wettkämpfen teil und ist immer noch die Beste. Und irgendwann steckt man drin im Leistungssport. Das ist nichts, was man mit 12 bewusst entscheidet. Mit 16 wusste ich zwar, dass ich schnell laufen konnte, aber mir war nicht klar, dass ich Leistungssport mache. Auf einmal ist man bei Olympischen Spielen. Das geht rasend schnell.

Nasse-Meyfarth: Wir haben eine Sache gemacht und zwar mit Leidenschaft. Viele Jugendliche heutzutage wollen viel machen und machen letztlich gar nichts.

1972 war ihr gemeinsames Jahr. Welche Erinnerungen gibt es noch daran?

Nasse-Meyfarth: Das war ein Erlebnis, das einem nur einmal im Leben passiert.

Wie ist das denn, da oben auf dem Treppchen zu stehen?

Ecker-Rosendahl: Man denkt zurück, was man alles dafür getan hat und weiß dann, dass man es irgendwie richtig gemacht hat.

Nasse-Meyfarth: Beim ersten Sieg hab ich mich nur gefragt: Wie bin ich hier hingekommen? Warum stehe ich jetzt hier?

Das ganze Stadion applaudiert wenn man die Medaille umgehängt bekommt. Wie ist das Gefühl?

Ecker-Rosendahl: Da kriegt man schon `ne Gänsehaut.

Haben sie die Geiselnahme der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“ mitbekommen?

Ecker-Rosendahl: Ja. Von meinem Zimmer, vielleicht im 16. Stock, konnte ich auf das Haus der Israelis gucken. Als ich die vermummten Gestalten gesehen habe und auf der anderen Seite die Scharfschützen mit Maschinengewehren, war das schon recht nah. Das war beängstigend. Wir kannten die israelische Frauenmannschaft ganz gut. Wir waren zwei Mal in Israel im Trainingslager, sie hatten hier in Leverkusen bis zu den Spielen ihr Trainingslager. Da gab es Freundschaften. Wir haben die Frauen dann auch betreut. Die sind dann ja auch in sichere Räume umgezogen, und wir haben den Kontakt zur Außenwelt für sie aufrecht erhalten. Als die Wettkämpfe einen Tag unterbrochen wurden, haben die Sportler alle miteinander geredet. Wir haben dann entschieden, weiter zu machen. Wir wollten uns von dem Terror nicht kleinkriegen lassen. Wir haben gesagt: Wir zeigen unsere Art zu kämpfen. Das ist die Laufbahn. Das ist unser Weg. Wir wollten vor den Terroristen nicht kapitulieren.

Nasse-Meyfarth: Ich habe das nicht so intensiv erlebt, hatte das Zimmer zur anderen Seite ‘raus. Die Geiselnahme begann in der Nacht nach meinem Olympiasieg. Es war schwer, das alles zu verkraften. Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Ich hab mir gedacht: Die Menschen werden vergessen, wie viele da gestorben sind, aber sie vergessen meinen Olympiasieg nicht.

Ecker-Rosendahl: Man kann die Olympischen Spiele getrennt vom Terror betrachten. Die Spiele waren ja schön. Man wollte das ja nicht zerstören lassen. Ich denke heute noch, dass es richtig war, weiter gemacht zu haben.

Sie waren beide in meinem Mickey-Maus-Heft abgebildet. Was fiel Ihnen schwerer? Der Abschied vom Sport oder von der Medienpräsenz?

Nasse-Meyfarth: Wir waren sogar in der „Bravo“.

Ecker-Rosendahl: Die Medienbekanntschaft war einerseits schmeichelhaft, andererseits auch lästig. Ich bekam, wenn ich in ein Restaurant ging, schon mal zunächst das Gästebuch gereicht und dann erst die Speisekarte.

Heutzutage ist der Medienrummel wohl größer?

Nasse-Meyfarth: Heute schlagen sich die Sportler darum, bei der Wok-WM dabei zu sein, um in die Medien zu kommen.

Ecker-Rosendahl: Herr Calmund sollte da wohl runter fahren. Das scheiterte dann aber an technischen Problemen.

1972 war sie 16 Jahre alt und überquerte rücklings 1,92 Meter – ihr Olympiasieg von München. Zwölf Jahre später und zehn Zentimeter höher wiederholte sie in Los Angeles ihren Triumph. Heute: Nasse-Meyfarth, 50, wohnt heute mit Ehemann Roland Nasse und Töchtern im bergischen Odenthal. Als Angestellte des TSV Bayer Leverkusen kümmert sie sich um Kinder mit Übergewicht. In Leverkusen betreibt Alt-Boxer Henry Maske seine vier McDonalds-Filiallen. Besonderes Kennzeichen: Meyfarth wuchs in Wesseling bei Köln auf, seit drei Jahren hört dort ein Stadion auf „Ulrike-Meyfarth-Stadion“. CSC

Sven Ottke wurde zum Eiskunstläufer.

Ecker-Rosendahl: Zu meiner Zeit gab es Sportpressefeste. Kurt Brumme, Sportreporter vom WDR, war einer der Initiatoren. Da war ich auch dabei. Das war Unterhaltung. Aber was der Raab nun veranstaltet? Man merkte deutlich, dass die Moderatoren sich verkaufen wollen auf Kosten der Teilnehmer. Auch wenn der Stefan Raab boxt, nutzt er die Popularität anderer, um sich in den Vordergrund zu stellen. Da wäre ich mir zu schade für.

Es gibt auch tragische Gestalten beim richtigen Sport. Jan Ullrich verkündete gerade seinen Abschied vom aktiven Radsport.

Ecker-Rosendahl: Der Radsport hat viel an Glaubwürdigkeit verloren. Ich traue vielen Radfahrern nicht mehr über den Weg. Die könnten ihren Sport doch auch ohne Doping machen und es wäre genauso spannend.

Beim Rhönrad ist Doping kein Thema. Dort gibt es auch keine großen Sponsoren. Funktioniert die Gleichung: Je mehr Sponsoring um so mehr Doping?

Ecker-Rosendahl: Beim Radsport geht es um viel Geld.

Wann ist für Sie ein Sport kein Sport mehr? Ist Profiboxen ein Sport? Der letzte große Kampf war ja schnell zu Ende.

Nasse-Meyfarth: Die Profiboxer bewegen sich mehr und mehr am Rande der Glaubwürdigkeit.

Was wünschen Sie denn dem Herrn Maske für den Kampf?

Ecker-Rosendahl: Ich kenne Henry ganz gut. Ich mag ihn. Er ist ein ganz lieber Kerl, ist sehr hilfsbereit. Wenn ich ihn treffe, muss ich ihn fragen, warum er wieder angefangen hat. Ich hoffe, dass er da gesund rauskommt und sich nicht noch so spät die Nase bricht.

Nasse-Meyfarth: Wenn es nur die Nase ist.

Ecker-Rosendahl: Er soll auf keinen Fall so da raus kommen wie der Axel Schulz.

Nasse-Meyfarth: Dann sollte man das Boxen ab einem gewissen Alter verbieten, auch im Interesse des Sports. Das ist doch unmenschlich. Aber solange sich noch eine Menge Geld verdienen lässt, machen die das nicht.