„Das ist schon sehr penetrant“

Bremen ist sechzig und lässt sich mit einer eigens komponierten Fanfare würdigen – zumindest innerhalb gewisser ästhetischer Grenzen. Nicht jede Geburtstags-Fanfare ist erwünscht. Hamburg, eine einzige Dissonanz, taugt allerdings von vornherein nicht als Kompositionsgrundlage

INTERVIEW: HENNING BLEYL

taz: Herr Scanio, Sie haben das Thema „Freie Hansestadt Bremen“ musikalisch umgesetzt. Wie klingt das?

Calogero Scanio: Wir sollten zum 60. Geburtstag des Landes Fanfaren komponieren, die auf den Tönen „f“, „h“ und „b“ basieren – also den Initialen Bremens.

Da ist die harmonische Spannung ja programmiert: Das erste Intervall, vom „f“ zum „h“, ist ein Tritonus – auch genannt „Diabolus in musica“.

Ali Gorji: Diese Töne sind nur der Rahmen, in dem ich mich als Komponist äußere. Aus musikalischen Gründen habe ich ohnehin noch „e“ dazugenommen.

In Bachs Matthäus-Passion markiert der Tritonus den Auftritt des Aussätzigen, in der Kantate Nr. 54 eröffnet er die Arie „Mir ekelt mehr zu leben“. Hatten Sie solche Beispiel beim Komponieren im Kopf?

Gorji: Nein. Ich mag f/h/b! Ich bin von vier Blechbläsern ausgegangen, die, sich steigernd, das harmonische Motiv spielen. Dann kommen die Holzbläser mit eingeworfenen Akkordfetzen. Das ist schon sehr penetrant, und am Schluss haben sie die anderen mit Staccato-Schlägen verdrängt.

Dann haben Sie ja den Untergang Bremens komponiert!

Gorji: Aber nein. Nur den frischen Wind, der durch die Stadt fegt. Das ist geradezu verheißungsvoll.

Bremen steht jetzt in einer Reihe mit Bach – der hat seinen Namen verkomponiert.

Scanio: Oder Schönberg. Oder Schumann mit seinen „Clara“-Motiven.

Wenn Sie „Freie Hansestadt Hamburg“ hätten komponieren müssen, wäre nur die Dissonanz übrig geblieben.

Gorji: Stimmt. Das zweite „h“ kann man schon mal weglassen – dann bleibt nicht mehr viel.

Scanio: Deswegen ist Hamburg ja auch nur die zweitschönste deutsche Stadt.

Gorji: Mit f/h/b haben wir in der Tat Glück gehabt. Es hätte ja auch ein langweiliger Moll-Dreiklang sein können. So wie bei …

Da fällt mit jetzt auch nichts ein. Herr Scanio, wie klingt Bremen denn bei Ihnen?

Scanio: Einerseits spritzig, eben fanfarenmäßig. Aber ich wollte die andere Seite ebenfalls zum Klingen bringen: 1947, bei Gründung des Landes, lag ja alles in Trümmern. Es gibt also zwei Tempi, um auch der Trauer Raum zu lassen. Dazu habe ich noch das berühmte Glockenspiel aus der Böttcherstraße eingebaut. Aber das alles wird am Sonntag nicht aufgeführt.

Eine verbotene Fanfare? Klingt sie nicht staatstragend genug?

Scanio: Es hieß, sie sei zu schwierig für das Publikum.

Oder für das Orchester?

Scanio: Ich habe bei den Trompeten extra noch etwas vereinfacht. Bei Reiche etwa [Barockkomponist] haben die Blechbläser genauso viel zu tun.

Dann geht es um vorauseilenden Geschmacksgehorsam?

Scanio: Als Komponist muss man sich immer der Kritik aussetzen. Aber dazu müsste man erstmal gespielt werden.

Ihre Fanfare, Herr Gorji, klingt auch reichlich atonal – in Gegensatz zu der mit Tango-Anleihen arbeitenden Komposition Ihrer Kollegin Rucsandra Popescu. Ist Bremen für Sie wirklich so avantgardistisch?

Gorji: Erstaunlicherweise: ja. Für München würde ich wahrscheinlich keine Fanfare komponieren wollen. Aber hier gibt es eine Frische, in der man etwas Neues machen kann. Ich habe mich sehr über den Auftrag gefreut.

Arbeiten Sie gern nach Vorgaben?

Gorji: Gelegentlich schon. Das kann einfacher sein, als vor einem leeren Blatt Papier zu sitzen und keinen Anfang zu finden.

Aber Sie sind inhaltlich eingeschränkt. Wenn jeder von Ihnen depressive Fanfaren geschrieben hätte, wären sie wohlmöglich alle ungespielt geblieben.

Scanio: Man kann die Musik nicht auf fröhliche Allegri reduzieren. Mal gibt es was zu feiern, mal muss man nachdenken.