„Jeder brennt doch für irgendetwas“

Nach gut 100 Tagen im Amt ist Kulturstaatssekretär André Schmitz in den Untiefen der Berliner Kulturpolitik angekommen: bei der maroden Staatsoper und beim Kampf ums Geld. Im Bereich kulturelle Bildung und mit der Kunsthalle will er Akzente setzen

ANDRÉ SCHMITZ, 39, leitet seit der Neuauflage von Rot-Rot als Kulturstaatssekretär die Berliner Kulturverwaltung. Schmitz ist Jurist, aber seit Ende der 1980er-Jahre im Bereich der Kultur tätig. 1992 bis 1997 war er Verwaltungsdirektor an der Volksbühne, danach Geschäftsführender Direktor und seit 2000 gleichzeitig Kommissarischer Intendant der Deutschen Oper Berlin. Nach dem Job als Chef der Senatskanzlei machte Klaus Wowereit ihn zum Flierl-Nachfolger.

INTERVIEW ROLF LAUTENSCHLÄGER

taz: Herr Schmitz, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ist in seiner Eigenschaft als Kultursenator bisher wenig in Erscheinung getreten – es sei denn als Bremser wie bei der Staatsoper oder beim Schlossareal, für die Berlin kein Geld mehr geben will. Sie leiten als Staatssekretär die Kulturverwaltung. Wer ist die Triebfeder in der Berliner Kulturpolitik, Sie oder Wowereit?

André Schmitz: Es gibt keine Positionskämpfe zwischen mir und dem Regierenden Bürgermeister. Jeder von uns hat sicherlich eigene kulturpolitische Vorstellungen. Aber wir ergänzen uns sehr gut. Ich habe sogar den Eindruck, wir haben jetzt mehr miteinander zu tun als in meiner Zeit in der Senatskanzlei, weil wir verstärkt inhaltlich zusammenarbeiten. Und als Bremser habe ich Klaus Wowereit schon gar nicht erlebt – denken Sie an den schnellen Ankauf der Fläche für das Technikmuseum bald nach der Wahl.

Während der Regierende Bürgermeister sich gegen die Bürgerinitiative „Rettet die Museumsinsel“ positionierte, haben Sie doch deren Haltung vertreten – nämlich kein Neubau vor dem Neuen Museum. Ist das kein Konflikt?

Nein, ich sehe keinen Dissens und ich bin auch nicht gegen einen Neubau dort. Ich begrüße es ausdrücklich, dass es Kulturstaatsminister Bernd Neumann gelungen ist, 73 Millionen Euro zusätzlich für den Eingangsbereich vom Haushaltsausschuss des Bundestages zu akquirieren. Zugleich bleibt es jedem unbenommen, sich zu ästhetischen oder geschmacklichen Fragen zu äußern. Außerdem: Wir wissen ja noch gar nicht, wie der Entwurf des britischen Architekten David Chipperfield endgültig aussieht.

Im Zusammenhang mit dem aktuellen Streit um den Hamburger Bahnhof haben Sie gesagt, Berlin plane eine eigene Ausstellungshalle für moderne Kunst. Wie konkret sind diese Pläne?

Wir befinden uns bei den Überlegungen für eine landeseigene Kunsthalle in den Anfängen. In der Koalitionsvereinbarung wird das Thema zwar ausgeklammert. Aber der Regierende Bürgermeister hat sich in seiner Regierungserklärung eindeutig dazu positioniert und gesagt, dass wir diese Kunsthalle brauchen.

Warum braucht es die Kunsthalle?

Wenn die Berliner Kulturlandschaft derzeit international wahrgenommen wird, geschieht das im Bereich der bildenden Kunst. Sie ist Berlins derzeit große innovative und moderne Leistung. Es wird dafür schon viel unternommen seitens der Galerien oder seitens des Kunstzentrums Kunst-Werke. Aber das reicht nicht. Es braucht jetzt einen Ort für Ausstellungen und für den Austausch junger Künstler. Wer in Berlin lebt und arbeitet, will doch auch hier sichtbar sein und nicht nur in Hamburg oder London.

Gibt es schon Vorstellungen von den Dimensionen des Projekts?

Natürlich wäre es gut, private Geldgeber dafür mit ins Boot zu kriegen. Und ich stünde jedem Angebot auch offen gegenüber. Es besteht aber kein Zweifel, dass die größte Last der Leistungen beim Land Berlin liegen wird. Ich werde jedenfalls alles dafür tun, dass wir vor dem Ende dieser Legislaturperiode eine Kunsthalle haben. Jetzt geht es um die Entwicklung eines Konzepts, die anstehende Finanzierung und eventuell auch um den Standort. Hier werden wir mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eng zusammenarbeiten.

In der Kunstszene rangeln auch lautstark zwei andere Projekte um eine neue Kunsthalle: White Cube und die Kunstwolke auf dem Schlossplatz. Warum zieht man nicht an einem Strang und bündelt alle Kräfte?

Weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Man muss die von uns angestrebte dauerhafte Berliner Kunsthalle und die beiden temporären Projekte auf dem Schlossplatz, die von Privaten initiiert werden, auseinanderhalten.

Haben Sie nicht auch die Sorge, dass die Schlossplatz-Ideen Ihrem Projekt die Schau stehlen könnten?

Im Gegenteil. Wir finden das privatwirtschaftlich und von der Zivilgesellschaft organisierte Projekt sogar unterstützenswert. Der Schlossplatz wird zwar womöglich relativ bald, aber eben nur für eine vorübergehende Zeit, zur Verfügung stehen. Die temporäre Kunsthalle wird von dort verschwinden, wenn die Bauarbeiten für das Humboldt-Forum beginnen. Betrachtet man es im zeitlichen Ablauf, kann die temporäre Kunsthalle neugierig machen auf die permanente Kunsthalle, die danach kommen wird.

Könnte der Hamburger Bahnhof als Museum für Gegenwart diese Rolle nicht übernehmen?

Das Haus versteht sich als Museum und hat auch den Auftrag, zu sammeln. Die Kunsthalle soll nicht sammeln, kein Museum werden, sondern in schnellen Ausstellungen aktuelle Künstler zeigen. Das ist ein anderes Konzept.

Ihr Vorgänger in der Kulturverwaltung, Thomas Flierl, hat sich sehr für die Erinnerungs- und Gedenkkultur in der Stadt engagiert. Vom Duo Schmitz/Wowereit ist dazu nichts Vergleichbares zu hören. Ist das kein Thema für Sie?

Das ist ein falscher Eindruck. Berlin ist die Stadt deutscher Geschichte und ich habe ein großes persönliches Interesse an den Gedenkstätten und Erinnerungsorten. Ich bin ein immenser Verfechter des Mauergedenkkonzeptes und will das auch bis 2009, spätestens bis 2011 umsetzen. Meine erste Amtshandlung als Kulturstaatssekretär war übrigens, den Ankauf von drei Grundstücken für das Gedenkkonzept im Vermögensausschuss durchzusetzen. Gerade sind wir mit dem Bund dabei, eine Stiftung zu gründen, in die wir die Gedenkstätten einbringen werden.

Wie weit sind die Pläne zur Gestaltung der Bernauer Straße gediehen?

Die Bernauer Straße bildet in dem dezentralen Mauergedenkkonzept das Zentrum. Es gab ein Kolloquium mit allen Beteiligten dort. Im April wird der Architektenwettbewerb ausgelobt werden. Am liebsten wäre es mir, wenn wir noch in diesem Jahr den Entscheidungsprozess über die Bühne bringen könnten.

Sie haben auch den Eindruck erweckt, Flierls anderes Lieblingsthema, den Hauptstadtkulturfonds, umstricken zu wollen – in Richtung mehr institutionelle statt projektbezogene Förderung.

Nein, ich habe lediglich einen Konflikt beschrieben: Der Hauptstadtkulturfonds ist dazu da, innovative und über Berlin hinausweisende Kunstprojekte zu fördern. Wo dies gelingt, wie etwa beim Musikfestival „Young Euro Classic“ oder im Bereich Tanz und der Literaturfestivals, hat man dann oft die Konfliktsituation, aus dem Hauptstadtkulturfonds nicht weiter fördern zu können. Dies gilt insbesondere, wenn etwas nach ein, zwei Jahren gut läuft. Damit wird deren Weiterexistenz aufs Spiel gesetzt, was nicht gut ist.

Aber widerspricht das nicht dem Geist des Kulturfonds?

Der ist nirgendwo festgeschrieben. Es gibt die Verständigung, dass der Topf durch institutionelle Förderung nicht handlungsunfähig wird. Dazu stehe ich – aber auch dazu, dass man daraus kein Dogma machen sollte. Erst recht nicht, wenn dadurch der Erfolg vergangener Förderung in Frage gestellt werden könnte.

Haben Sie eigentlich das Gefühl, beim Thema Opern geht es voran? Unklar sind nach wie vor die geschätzt 130 bis 170 Millionen Euro teure Sanierung der Staatsoper, deren zukünftige Besitzverhältnisse oder die Opernstiftung.

In der Tat befinden wir uns in einem Schwebezustand. Das hängt damit zusammen, dass wir uns mit dem Bund beim Thema Staatsoper-Sanierung sowie in der Frage eines weiterführenden finanziellen Engagements noch in Gesprächen befinden. Aber wir haben auch gesagt, dass wir die Zukunft der Opernstiftung und die Sanierung der Staatsoper in diesem Jahr klären wollen.

Aber mal im Ernst, kaum jemand ist der Auffassung, dass Berlin die Staatsoper ohne den Bund zu schultern gedenkt. Umgekehrt hat der Bund bisher kein Übernahme-Interesse am Haus gezeigt. Es ist paradox.

Das Land Berlin ist Eigentümer der Staatsoper und wird sich dieser Verpflichtung nicht entziehen. Der tatsächliche Sanierungsbedarf und die Kosten werden derzeit genau untersucht. Zugleich arbeiten wir an Modellen, wie die Bundesseite sich in der Opernstiftung engagieren könnte – zum Beispiel als Gesellschafter wie bei der Stiftung Schlösser und Gärten.

Zum Ende sollten Sie zwei Dinge einmal aufklären: Einmal haben Sie die kulturelle Bildung als wichtiges Ziel Ihrer Politik angekündigt. Wird jetzt Theater Pflichtfach an den Schulen? Und warum wechselt jemand wie Sie, der von der kreativen Seite – vom Theater und den Opern – kommt, in den unkreativen Politik-Job? Waren das Machtgelüste?

Beim Thema kulturelle Bildung möchte ich in der Tat eine Weichenstellung erreichen, weil es eine Antwort auf den gesellschaftlichen Wandel in unserem immer weniger kulturell geprägten Alltag geben muss.

Wie sieht die Antwort aus?

Ich bin im Gespräch mit dem Rat der Künste über mögliche Partnerschaften. Wir können nicht, wie Nordrhein-Westfalen das macht, jedem Kind ein Instrument in die Hand geben. Dazu fehlen mir die Mittel. Aber wenn jede der unzähligen Berliner Kulturinstitutionen – Museen, Orchester, Galerien, Theater, Kulturämter et cetera – sich als Pate eine Schule aussuchte und über Jahre ein Konzept mit den Lehrern und Schülern ausarbeitet und auslebt, wäre das ein „Berliner Patenschaftsmodell für kulturelle Bildung“, das sich lohnt. Ich bin dabei, einen Fahrplan zu entwickeln, und gebe im April einen ersten Zwischenbericht ins Abgeordnetenhaus.

Jetzt sind wir bei den Machtgelüsten.

… und Ihrer zweiten Frage. Es war ohne Zweifel ein Seitenwechsel, als ich von der Deutschen Oper in die Senatskanzlei wechselte. Den Wechsel in die Kulturpolitik habe ich als nicht so gravierend empfunden. Jeder in der Kultur brennt doch für irgendetwas. Und wenn ich helfen kann, das als Staatssekretär mitzugestalten, empfinde ich Politik als nicht unkreativ.