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: Aktuelle Kamera

AMERICAN FOOTBALL Trotz klarer Indizien behandelte die NFL Ray Rice’ Gewalttat wie ein Kavaliersdelikt. Ein Video führt nun zur Kehrtwende

Über eine Million Menschen in den Stadien, mehr als 108 Millionen vor den Fernsehgeräten. Die NFL ist zurück und bricht wieder alle Rekorde. Allein das Eröffnungsspiel zwischen Titelverteidiger Seattle Seahawks und den Green Bay Packers wurde von einer Million Tweets auf Twitter begleitet, die mehr als acht Millionen Menschen erreichten. Der erste Spieltag der NFL hat wieder bewiesen: Nichts lieben die Amerikaner so sehr wie ihren Profi-Football.

Davon kann sie auch ein angeschlagenes Image des Sports nicht abhalten. Ein Image, das sich zum Saisonstart weiter zu verschlechtern droht. Nicht nur geht der seit Jahren schwelende Konflikt zwischen der NFL und ehemaligen Spielern, die während ihrer Karriere Gehirnschädigungen davongetragen haben, demnächst in eine neue Runde vor den Gerichten. Am Montag musste NFL-Boss Roger Goodell mit Ray Rice auch noch einen der prominentesten Spieler auf unbestimmte Zeit sperren.

Zu diesem drastischen Schritt gezwungen wurde Goodell von einem Video, das am Montagmorgen auf der Boulevard-Website TMZ eingestellt wurde. Der von einer Überwachungskamera in einem Aufzug aufgenommene Film zeigt den 27-jährigen Rice, wie er seine damalige Verlobte und heutige Ehefrau Janay Palmer bewusstlos schlägt. Der Vorfall, der sich im vergangenen Februar in einem Casino in Atlantic City ereignete, führte schon damals zu einer kurzzeitigen Verhaftung von Rice und Palmer. Ermittlungen wegen häuslicher Gewalt wurden eingeleitet, aber der Videoclip aus dem Inneren des Aufzugs lag noch nicht vor. Andere Aufnahmen zeigten das Paar nur beim Einsteigen in den Fahrstuhl und Rice, wie er später die leblose Palmer aus dem Fahrstuhl herauszieht und liegen lässt. Die Ermittlungen wurden fallen gelassen, weil Palmer ihren künftigen Ehemann nicht anzeigen wollte. Bei einem Gespräch mit der NFL entlastete das Opfer Rice und bezeichnete die Attacke als „einmaligen Vorfall“. Rice, der seither nicht mehr mit den Medien gesprochen hat, ließ nur verlauten, sein Verhalten sei „unentschuldbar“ gewesen. Die Liga sperrte ihn daraufhin für die ersten beiden Spiele der neuen Saison.

Schon damals fanden viele die Reaktion der NFL, die in der Vergangenheit schon fürs Kiffen härtere Strafen ausgesprochen hat, nicht angemessen. Auch die Baltimore Ravens, der Verein von Rice, stand in der Kritik, weil er keine zusätzliche Strafe aussprach. Erst jetzt, nachdem die neue Videoaufnahme zwar keinen Zweifel mehr lässt an der Brutalität von Rice, aber nur bestätigt, was bislang bereits bekannt war, haben die Ravens ihren Running Back entlassen und seinen Vertrag aufgelöst.

Von ehemaligen Kollegen, mit denen Rice vor anderthalb Jahren die Super Bowl gewonnen hat, bis zum Präsidenten gibt sich die Öffentlichkeit angemessen erschüttert. Barack Obama ließ verlauten, „häusliche Gewalt ist verachtenswert und inakzeptabel in einer zivilisierten Gesellschaft“. Frauenrechtlerinnen nehmen die Affäre zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass 64 Prozent aller weiblichen afroamerikanischen Mordopfer von ihren Ehemännern, Lebensgefährten oder Exmännern umgebracht werden.

Die allgemeine Entrüstung hat bereits dazu geführt, dass Goodell zugegeben hat, dass die erste Sperre von zwei Spielen zu lasch gewesen sei. Der NFL-Commissioner entschuldigte sich: „Wir haben einen Fehler gemacht. Wir werden es künftig besser handhaben.“ Fortan sollen Ersttäter in Fällen häuslicher Gewalt sechs Spiele gesperrt werden. Allerdings: Ray McDonald, Verteidiger bei den San Francisco 49ers, spielte beim 28:17-Auftaktsieg gegen die Dallas Cowboys – obwohl er am 31. August wegen häuslicher Gewalt verhaftet wurde und nur gegen 25.000 Dollar Kaution freikam. Sowohl die NFL als auch die 49ers wollen erst Konsequenzen ziehen, wenn offiziell Anklage erhoben werden sollte. Das könnte, wie der Fall Ray Rice zeigt, aber auch nie der Fall sein. THOMAS WINKLER