„Die CDU ist eine Traditionskompanie“

Die Union könnte Friedbert Pflügers Liberalisierungskurs noch durchkreuzen, urteilt der FU-Politologe Gero Neugebauer. Aller Erfolg hänge von den Umfrage- und Wahlergebnissen der kommenden vier Jahre ab

GERO NEUGEBAUER ist Politologe und Parteienforscher am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

taz: Herr Neugebauer, sehen wir derzeit wirklich das Entstehen einer neuen, liberalen CDU?

Gero Neugebauer: Vieles deutet auf einen Wechsel hin. Nur ist die Richtung des Wechsels nicht klar. Und ebenso wenig, ob er Erfolg haben wird.

Warum?

Weil in der Berliner Union alle Fragen Machtfragen sind. Zwar hat die CDU innerparteiliche Diskussionsforen angekündigt, und Pflüger geht demonstrativ auf die Grünen zu. Aber der Erfolg seiner Öffnungsstrategie steht noch aus. Ein erstes Indiz, dass Pflügers Kurs gestärkt wird, ist das Ergebnis der jüngsten Kreisvorsitzendenkür: Sechs von zwölf Chefs sind neu im Amt.

Der Ex-Hannoveraner Pflüger baut sich so eine Machtbasis. Wie bringt er die konservativen Alteingesessenen dazu, mitzumachen?

Da gibt es mehrere Hebel. Einer ist ein Anruf Angela Merkels. Als Parteivorsitzender kann ihr nicht an einer schwachen CDU in ihrem Vorgarten gelegen sein.

Merkel ruft die Berliner CDU-Kreisfürsten an?

Das muss sie gar nicht persönlich. Pflüger sitzt im Präsidium der Bundespartei. Über vergleichbare Kontakte verfügt kein anderer Berliner CDUler. Das entscheidende Argument für einen Führungswechsel in den Bezirken liegt auf der Hand, beispielsweise in Pankow: Wenn sich die alte Garde um Kreischef René Stadtkewitz und den Bundestagsabgeordneten Günter Nooke in einem Zweikampf zerfleischt, entkommt sie ihrem 10-Prozent-Ghetto nie.

Das ist den Kontrahenten doch herzlich egal.

Natürlich brauchen sie die Aussicht auf Belohnung.

Die lautet?

Sie lautet: Wenn der neue Parteikurs erfolgreich ist, wird die CDU an die Macht zurückkommen, und ihr werdet für eure Kooperation – vielleicht – mit Posten bedacht.

Berlins CDU ist bis heute sehr konservativ. Was hat sie davon, sich liberaler zu geben?

Die Berliner Gesellschaft wandelt sich, und die Partei muss sich dem anpassen. Sicher, Pflügers Reformen garantieren keinen Erfolg. Aber er öffnet die Partei für Themen, die in einer modernen Metropole wichtig sind. Dazu zählt nicht allein der Umweltschutz. Auch die klassische Stärke der Union, die lange vernachlässigte Wirtschaftspolitik, hat er wiederbelebt. Aber es ist schon erstaunlich: Wenn Pflüger die Offenhaltung des Flughafens Tempelhof fordert, ist von Umweltschutz keine Rede mehr.

Pflügers Taktik lautet also: Stammwähler halten, bürgerliche Grünen-Wähler gewinnen. Aber sind CDU und Grüne einander so nah, wie er behauptet?

Ich habe da meine Zweifel. Die Überschneidungen zwischen beiden Parteien sind ziemlich gering. Obendrein ist die Berliner CDU noch immer eine Traditionskompanie und für einen Richtungswechsel schwer zu mobilisieren. Das ist bei der Linkspartei ähnlich. Aber wenn die Führung die Basis an die Hand nimmt und sagt: „Zwei und zwei ist vier, und Erfolg haben wir nur, wenn wir uns öffnen“, dann kann das Experiment klappen.

Was geschieht mit Pflüger, wenn es nicht klappt und die Partei bei der nächsten Wahl nicht nennenswert zulegt?

Schwer zu sagen. Bis zur Wahl sind es noch viereinhalb Jahre. Aber falls es schiefgeht, könnte er wahrscheinlich in die Bundespolitik zurückkehren.

INTERVIEW: MATTHIAS LOHRE