Abschied von Nummer 10

Brasiliens Fußballgenius Ronaldinho muss das legendäre Trikot mit der 10 abgeben. Eine große Demütigung? Möglich. Aber die 10 ist längst nicht mehr, wofür sie in Deutschland manche halten

VON PETER UNFRIED

Die Nummer 10: Pele, Maradona, Netzer. Braucht man mehr sagen? 10 ist in den Köpfen des deutschen Fußballmilieus seit Jahrzehnten als die herausragende Zahl verankert. Symbol für einen kreativen Genius, der das Kämpfen, Rennen und Verschieben im Fußball mit seiner exzeptionellen Kunst auf eine höhere Ebene hebt oder zumindest dazu im Stande ist.

Die 10 tragen – das war Verpflichtung und Auszeichnung. Grade auch seit Pele bei Brasilien. Ronaldinho trug seit mehreren Jahren diese Nummer. Was zwingend schien; er galt halt als bester Spieler der Welt. Nun hat Brasiliens Nationaltrainer Dunga sie Kaka gegeben – Ronaldinho musste die 7 nehmen.

Warum? Dunga schweigt. Rückstufung ins Glied, Demütigung unermesslichen Ausmaßes? Möglich, das kommt darauf an, wie wichtig ein Spieler selbst eine Rückennummer nimmt. Vielleicht sehr, vielleicht gar nicht so sehr.

Grundsätzlich pflegen wir Deutsche eine besonders liebevolle, aber sehr anachronistische Obsession mit dieser Nummer, wie mit dem einen Spieler, der Chef sein soll oder Spielmacher oder Genie oder alles. Es gibt keinen Zehner mehr in dem Sinne, wie man ihn sich in Deutschland zusammenfantasierte. Kennt jemand überhaupt einen annähernd klassischen nach Zidanes Abgang?

Der Spielmacher ist seit langem der Sechser vor der Abwehr. Oder es sind die beiden Sechser. Carlos Dunga, Brasiliens Nationaltrainer, war als Spieler der Inbegriff des modernen, funktionalen Sechsers in flacheren Hierarchien. Bei Deutschland sind die Sechser Ballack (Nummer 13) und Frings (8). Die Nummer 10? Keine Ahnung, wer die hat.

Der Zehner in der Bundesliga ist der Mann hinter den Spitzen (Marcelinho, Diego usw.). Brasilien, wie Deutschland und viele andere spielen ganz ohne diesen einen Zehner, dafür mit zwei offensiven Mittelfeldspielern, die von den Bahnen kommen. Kaka ist Ronaldinho seitenverkehrt. Der eine (R.) kommt von links, der andere (K.) von rechts. Das heißt: Im Prinzip ist keiner der beiden ein Zehner. Weder ein alter noch ein neuer. Manche sagen, beide seien Zehner. Aber das geht nun mal nicht.

„Die reine zehn wie Netzer oder Overath gibt es nicht mehr“, sagte Jürgen Klopp der taz. Für den Trainer des Bundesligisten Mainz 05 ist damit „sicher auch die Bedeutung der Zahl zurückgegangen“. Dennoch erlebt er Momente, wo „ein Spieler verpflichtet wird, und seine Augen beim Thema Nummer 10 glänzen“. Seine goldene Regel: Dann kriegt er sie auf keinen Fall. Zu stressig: Weil die 10 im Bewusstsein vieler die Nummer des technisch versierten, genialen Spielmachers bleibe, werde ihr Träger nach diesen Ansprüchen beurteilt („Wird er der 10 gerecht?“)

Um das Thema zu erledigen, hat Klopp die Nummer vor einigen Jahren einem Spieler anvertraut, „dem das wurstegal ist“, seinem Innenverteidiger Manuel Friedrich. Der trägt sie als normale Nummer – und entmythisiert sie damit weiter. Klopp, ein ehemaliger Zweitligaverteidiger, entschied sich einst, obwohl er als Stürmer anfing, für die Nummer 4. Sein mythischer Held war Karl-Heinz Förster.