LESERINNENBRIEFE
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Eine schockierende Aussage

■ betr.: „Wir werden die Migranten aufhalten“, taz vom 23. 4. 11

Abdul Hafiz Ghoga antwortet auf die Frage nach der Vereinbarung zur Abwehr von Flüchtlingen, die Teil des von Berlusconi und Gaddafi unterzeichneten italienisch-libyschen Freundschaftsvertrags ist, dass diese weiterhin respektiert wird: „Die Regierung Berlusconi kommt uns sehr entgegen, und wir werden Immigranten daran hindern, illegal die italienische Küste zu erreichen.“ Eine äußerst schockierende Aussage aus dem Mund eines Mannes, der vor dem Aufstand Menschenrechtsanwalt in Bengasi war und jetzt Vizepräsident des Nationalen Übergangsrats ist. Er weiß genau, wie dies von Gaddafis Schergen üblicherweise praktiziert wurde und wahrscheinlich weiter gehandhabt wird: Inhaftierung unter menschenunwürdigen Bedingungen und skrupellose Abschiebung in die Herkunftsländer, wo – zum Beispiel in Eritrea – die „Rückkehrer“ bestraft, gefoltert und in vielen Fällen auch getötet wurden. Über das Entgegenkommen nicht nur der italienischen Seite kümmert(e) sich derweil der Militärchef des nationalen Übergangsrats Younis, der in Europa um Waffenhilfe für die Aufständischen wirbt.

Die europäischen Regierungen werden dieses Engagement der neuen Partner in Libyen in der Flüchtlingsabwehr sicher honorieren, vielleicht ist ja auch die Entscheidung der italienischen Regierung, bei den Nato-Luftangriffen mitzumachen, darauf zurückzuführen. Es bedarf keiner prophetischen Fähigkeiten, um vorherzusehen, dass die europäisch-libyschen Beziehungen wie bisher von den wichtigen „Standortvorteilen“ regiert werden: Ölversorgung und Flüchtlingsabwehr. Das mag für die Regierungen beruhigend sein, uns sollte es jedoch alarmieren und verfrühte Hoffnungen auf einen Menschenrechtsfrühling für alle, die in Libyen leben, dämpfen.

EVA-MARIA BRUCHHAUS, Köln

Eher geltendes Unrecht

■ betr.: „Die Staatsleistungen sind geltendes Recht“, taz v. 19. 4. 11

„In den Staatsleistungen setzt sich der Gedanke fort: Für den Teil der Finanzierungsgrundlage, der den Kirchen durch den Staat entzogen wurde, soll deren Arbeit finanziell unterstützt werden“, so David Gill, Kirchenjurist der EKD. Dahinter gehört ein dickes Fragezeichen.

Die Säkularisation, die mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 vollzogen wurde, schaffte den Status von Kirchenfürsten und anderen kirchlichen Würdenträgern als Territorialherren ab. Und sie ließ sich bei der Übergabe kirchlicher Besitztümer von dem nachvollziehbaren Gedanken leiten, dass die Einkünfte und Einkommensquellen, die den kirchlichen Territorialherren bisher für staatliche Aufgaben wie Verkehrsinfrastruktur, staatliche Verwaltung in Justiz, Polizei und Militär etc. zur Verfügung standen, nunmehr an die neuen weltlichen Territorialherren übergehen sollten. Da die Bischöfe nun keine Straßen und Brücken mehr zu bauen hatten, konnte man ihnen wohl auch die Einkünfte, die für derartige Zwecke zur Verfügung standen, wegnehmen. Das ist jedenfalls kein Unrecht, und im Jahre 1803 scheint die Kirche das auch nicht als Unrecht angesehen zu haben. Überdies wurde im § 63 dieses Reichsgesetzes „jeder Religion der Besitz und ungestörte Genuß ihres eigenthümlichen Kirchenguts“ garantiert. Und im § 77 ist beispielsweise festgelegt, dass „bei solchen Landen, welche ganz von einem geistlichen Regenten auf einen weltlichen übergehen, letzterer alle sowohl Kameral- als Landesschulden eines solchen Landes mit zu übernehmen (…) habe.“ Daher bestand und besteht auch kein rechtmäßiger Anspruch der Kirchen auf eine Entschädigung für diese Umwidmung von Einkünften. Die Staatsleistungen sind geltendes Recht – eher wohl: geltendes Unrecht. THEODOR EBERT, Erlangen

Eine Schule für alle

■ betr.: „Bonnie und Clyde rocken eine Schule“, taz vom 27. 4. 11

Der Artikel hat in mir Unmut ausgelöst… Machen sich nicht alle Schule auf den Weg? Wird nicht seit Jahren diskutiert und fortgebildet, um eine erfolgreichere Schule zu machen? Mir ist leider nicht klar geworden, was diese Schule nun Besonderes hat, was andere Schulen nicht haben. Super, so einen Fellow hätten wir auch gerne – endlich mal als die erfolgreiche Schule in die Medien kommen.

Wie kann es passieren, dass Hochschulabsolventen einen Kulturschock erleiden, wenn sie an eine Schule im sozialen Brennpunkt kommen? Haben sie nicht auch das deutsche Schulsystem durchlaufen? Ist es nicht auch ihre Gesellschaft, in der sie leben? Ja, aber… Genau da sollten wir ansetzen! Bei uns gibt es die Schule für die „guten“ und die Schule für die „schlechten“ – so weiß der eine nichts von der Lebenswirklichkeit des anderen. Schade, gemeinsam könnten sie viel voneinander lernen. Nach erfolgreichem Abschluss des Hochschulstudiums wird meine Tochter zum Glück keinen Kulturschock erleiden – sie weiß als Gesamtschülerin, wie es auf der anderen Seite aussieht. Die Idee „Teach First“ ist prima, aber wäre es nicht einfacher, eine Schule für alle zu haben? Dann müsste niemand mehr einen Kulturschock bekommen, wenn er Einblick in die „andere“ Lebenswelt erhält. So einfach ist es, und damit wäre auch die Basis für erfolgreiches Lernen für alle Kinder geschaffen. KIRSTEN KRUZEK