Der architektonische Parasit

Vielleicht wird sie dereinst den Michel als Wahrzeichen verdrängen, aber traurig macht das niemanden: Mit großer Euphorie haben die Befürworter der Elbphilharmonie die Sehnsucht der Hamburger nach dem spektakulären Bau geweckt – mit Erfolg: Heute wird der Grundstein für den Konzertsaal gelegt

Ob massenweise Hanseaten Konzertabonnenten werden, nur weil das Gebäude so schön ist, ist fraglich

VON PETRA SCHELLEN

Vielleicht stimmt es ja, dass Städte in gewissen Abständen neue Wahrzeichen brauchen. Dass die Gebäude tatsächlich immer spektakulärer sein müssen, damit sich der Hanseat hier heimisch fühlt. Jedenfalls tun die Befürworter der Hamburger Elbphilharmonie seit Monaten alles, um im Hamburger das Bedürfnis nach einem Wahrzeichen zu erwecken, das dem der Oper von Sydney Paroli bieten kann.

Heute wird der Grundstein des gläsernen Hafencity-Wolkenkratzer gelegt – was im engeren Sinne natürlich nicht stimmt. Denn der Grundstein für den „Sockel“ der Elbphilharmonie – den Kaispeicher A – wurde 1964 gelegt. Als architektonischer „Parasit“ wird sich das 2010 zu eröffnende Konzerthaus an den von Werner Kallmorgen entworfenen Backsteinbau klammern, für den man so eine elegante Nutzung fand. Denn abgerissen werden durfte das denkmalgeschützte Gebäude nicht, als Konzert- oder Wohngebäude taugte der fensterlose Bau aber auch nicht. Doch als kompakter „Grundstein“ für die Elbphilharmonie ist er gut, wobei man darüber streiten kann, ob die Materialien wirklich kompatibel sind: Wie ein gläserner Eisberg, aus Kristall, der Himmel und Wasser spiegelt und nachts ins All hinausleuchtet, soll sich die Elbphilharmonie präsentieren, und vielleicht zeigt die Spitze nicht zufällig nach Westen: Denn dort liegt nicht nur die Wasserstraße zum Meer und zur großen weiten Welt. Auch der Vergleich mit dem stets gen Westen gerichteten Bollwerk christlicher Kirchen drängt sich auf. Es sollte den nach Osten gerichteten Altar schützen. Dass solche Gedanken dem für die Elbphilharmonie verantwortlichen Basler Architektenbüro Herzog & de Meuron nicht fremd sind, zeigt die Begründung für den schmalen Eingang zu ihrem Basler „Schaulager“, einem Kunst-Depot: Durch ein winziges Eintritts-Häuschen muss man sich quetschen, um zum breiten Haupteingang zu gelangen. Kommentar der Architekten: Das sei wie in einer Kirche. Auch dort zwänge man sich durch einen schmalen Eingang, um Weite und Höhe der Kirche dann umso stärker zu empfinden.

Die Interpretation der Elbphilharmonie-Spitze als Schiffsbug andererseits trägt nur bedingt, ist die abgeflachte Front doch nur mäßig windschnittig. Den spitzen Winkel hat der in Hamburg tätige Architekt Hadi Teherani in seinen Gebäuden expliziter zelebriert. Und ob die mit Wohnungen, einem Hotel, zwei Konzertsälen und Konferenzräumen bestückte Elphilharmonie auf einen speziell de Meuron’schen Stil verweist – auch das lässt sich nicht klar nachweisen. Wohl bestehen Ähnlichkeiten zwischen der Elbphilharmonie und dem für Basel avisierten Verwaltungsturm des Pharmakonzerns Hoffman-La Roche: Auch dieser soll die Stadt überragen und ihre Silhouette markant prägen: Als DNA-Doppelhelix lassen sich die beiden gewundenen Treppen deuten; die innere Form prägt die der Außenhaut. Das für das Vitra Design Museum in Weil am Rhein geplante Depot wiederum arbeitet – wie die spiralförmig verschraubten Treppen des Elbphilharmonie-Foyers – mit Verschachtelungen: In Weil am Rhein sollen gegeneinander verschobene Wohneinheiten wie Schubladen aufeinander liegen. Wobei zu erwähnen ist, dass der Foyer-Vorentwurf der Elbphilharmonie höhlenartiger wirkte als die endgültige Version: Die ursprünglich geplanten, vielfach gewundenen Rundungen, die quasi in die Tiefe sogen, sind pragmatischen Ecken gewichen, die die kristallinen Formen der Außenhaut aufnehmen. Und die zunächst avisierten, großzügig schwellenden Formen des großen Konzertsaals wurden durch karge, fast skizzenhafte Linien ersetzt. Da die ursprünglich nach oben gewölbte Decke zudem einer spitz zulaufenden Saaldecke wich, wird man, um Hall-Effekte zu vermeiden, einen Schall-Reflektor installieren. Der hiermit betraute japanische Akustiker Yasuhisa Toyota und Kultursenatorin Karin von Welck sind sicher, dass dies für einen gleichmäßig guten Klang auf allen Plätzen bürgt.

Bernsteinfarben soll der Konzertsaal in der Dunkelheit nach außen leuchten; die Balkon- und Fensteröffnungen wirken wie Fischschuppen. Und bewegt man sich auf der Plaza – dem Flanier-Areal zwischen Kaispeicher und Elbphilharmonie – wirkt es, als ob ein riesiges Tier über einem stünde. Wie aus „Gullivers Reisen“ wirken die zylindrischen Säulen-Beinchen und die organisch geschwungenen Deckenwölbungen. Sie sollen die Angst des Flaneurs vor dem Koloss obendrüber dämpfen.

Was sagt das Wahrzeichen in spe aber über die Hamburger Mentalität aus? Und wird die Elblphilharmonie taugen im großen Stil Touristen anzuziehen? Hat eine – auch kulturell – bereits florierende Stadt wie Hamburg das nötig? Und wird man die insgesamt 2.700 Plätze der beiden Elphilharmonie-Konzertsäle sowie die 2.800 der bereits existierenden Laeisz-Musikhalle täglich füllen können, damit sich der Neubau rentiert?

Die 1986 eröffnete, 2.000 Zuschauer fassende Kölner Philharmonie habe ihr Publikum ja auch generiert, sagt Kultursenatorin von Welck auf solche Fragen. Doch Köln hat ein traditionell lebendigeres Musikpublikum als Hamburg; die Städte sind nur bedingt vergleichbar. Ob andererseits massenweise Hanseaten Konzertabonnenten werden, nur weil das Gebäude so schön ist, ist fraglich. Denn um das Gebäude zu würdigen, reicht es, aus der Ferne zu schauen oder auf die Plaza zu gehen. Ins Konzert muss man deswegen nicht. Zumal man weder aus dem Konzertsaal noch aus dessen Foyer auf Hamburg blicken kann. Denn das Privileg der schönen Aussicht genießen nur die Luxuswohnungen an der Außenseite der Elbphilharmonie.