Rosskastanien zum Verzehr

Atlanta rüstet sich für das Finale der College-Basketballmeisterschaft: Die Florida Gators könnten gegen die Ohio State Buckeyes ihren Titel verteidigen, was seit 1992 keinem Team mehr gelang

AUS ATLANTA THOMAS WINKLER

Der Georgia Dome in Atlanta ist keine Schönheit. Sein Dach gleicht dem Abdruck, den ein Hintern im Sand hinterlässt, und die Fassade ist blässlich rosa, was vielleicht modern war, als das Monstrum 1992 eröffnet wurde. Aber der Georgia Dome ist groß. Groß genug, dass mehr als 53.000 Menschen reinpassen. Eine ausreichende Anzahl Zeugen, die heute Nacht da sein werden, wenn Geschichte geschrieben werden soll.

Auch Joakim Noah ist keine Schönheit. Weder sein Äußeres noch sein Art Basketball zu spielen, ist schön. Noah ist zwar groß, aber eigentlich zu dünn. Sein Wurf ist ungelenk. Manchmal trifft er nicht einmal aus nächster Nähe den Korb und Anhänger gegnerischer Mannschaften singen gern: „Noah ist hässlich.“

Nach dem 76:66-Erfolg gegen UCLA stehen Noahs Florida Gators im Endspiel des alljährlichen NCAA-Turniers um die College-Meisterschaft. Gewinnt das Team um den 22-Jährigen gegen die Ohio State Buckeyes, es wäre ein historischer Erfolg. Denn seit den Duke Blue Devils 1992 hat keine Uni mehr den Titel verteidigen können. „Wir wissen, dass wir es noch nicht geschafft haben“, verkündete ein grimmiger Noah nach dem Spiel, „wir sind lange noch nicht zufrieden.“

Dass es kaum noch möglich ist, eine gute Collegemannschaft zusammenzuhalten, daran ist die NBA schuld. Genauer: die Millionen, die in der Profiliga gezahlt werden. Die größten Talente spielen nur noch selten volle vier Jahre in ihren Universitätsmannschaften. Sobald damit zu rechnen ist, dass ein NBA-Team an ihnen Interesse hat, geben sie gemeinhin ihr Stipendium auf.

Auch Noah hätte nach dem Titelgewinn im vergangenen Jahr, als er zum herausragenden Spieler des Final Four gewählt wurde, einen üppigen Vertrag unterschreiben können. Stattdessen überredete er seine Kollegen Corey Brewer, Al Horford und Taurean Green, die sich ebenfalls Hoffnungen auf die NBA machen können, noch ein weiteres Jahr an der Universität in Gainesville zu bleiben. So viele künftige NBA-Profis wie Florida hat kein anderes Team. Gegen die UCLA Bruins konnten sich die Gators 16 Ballverluste leisten und fuhren das Spiel trotzdem souverän nach Hause. „Sie haben“, wie Ben Howland, der Trainer des unterlegenen Gegners feststellen musste, „keine Schwächen. Sie treffen von außen, sind stark unterm Korb, verteidigen gut.“ Und vor allem haben sie einen Noah, der von seinem berühmten Tennisvater Yannick zwar nicht die Eleganz, aber den Kampfgeist geerbt hat. „Einen wie ihn“, verkündete Dick Vitale, Amerikas bekanntester College-Basketball-Analyst, „gibt es nicht noch mal, nicht im College und auch nicht in der NBA.“

So mögen die Straßen von Atlanta dieser Tage gefüllt sein mit hoffnungsvollen Fans der Ohio State Buckeyes, die stolz ihre roten Teamfarben spazieren tragen, aber die „Rosskastanien“ sind im Endspiel nur Außenseiter. Im Halbfinale gegen die Georgetown Hoyas konnten sie nicht überzeugen. Am Ende stand ein 67:60-Sieg von Ohio State, aber das mit Spannung erwartete Duell der beiden Center Roy Hibbert und Greg Oden fiel weitgehend aus, weil die beiden viel Zeit wegen Foulproblemen auf der Bank verbrachten. Will Ohio State gegen Florida eine Chance haben, dann muss der 19-jährige Oden, auf den die NBA längst ein Auge geworfen hat, häufiger zum Zuge kommen. Am Ende wird, wie UCLA-Coach Howland treffend zusammenfasste, „nur eine Mannschaft wirklich glücklich aus Atlanta abreisen“.

Das liegt in der Natur eines Final-Four-Turniers. Und so groß die Favoritenrolle von Florida auch sein mag, der einzige Gewinner, der schon vor dem ersten Tipp-Off feststand, war der College-Sportverband NCAA. Der Georgia Dome ist ausverkauft, vor der Halle brummt der Schwarzmarkt. Der 1996 eingeweihte Olympiapark wird als Partyzone genutzt, und das riesenhafte World Congress Center ist vier Tage lang umgetauft in „Hoop City“, eine Art Basketball-Disneyland. Doch Atlanta ist nur das Epizentrum einer landesweiten Hysterie: Die ganze Nation sitzt am Fernsehschirm; der noch bis 2011 laufende TV-Vertrag ist 6 Milliarden Dollar schwer. Schönheit liegt nun mal im Auge des Betrachters.