PETER UNFRIED über CHARTS
: Warum wir nie im „Rolling Stone“ waren

Die Charts heute mit sechs Songs von Dr. Hook, in denen sich seltsamerweise mein Leben spiegelt

Unlängst sagte ein etwas Jüngerer zu mir im Angesicht des neuen Bundeskanzlers, in seinem Land und seinem Alter sei praktisch aus allen was geworden. Nur aus ihm nicht. Tja. Das ist kein Einzelfall und nicht auf Österreich begrenzt, sondern das Schicksals eines kulturellen Milieus in dieser Generation der Vierzigjährigen. Es ist jenes Milieu, das im Gegensatz zu Roland Koch, Kerner und Klinsmann nicht wollte. Weil man es nicht nötig hatte.

Bisschen Geld war da, bisschen Schule war da – und die Zukunft? Soll doch machen, was sie will. Ich erinnere mich an einen Freund, der ein Abi von 2,0 machte und stets behauptete, er könnte eigentlich viel besser sein. Das war unser Lebensmotto: Wenn wir wollten … aber wir wollen ja nicht. Stattdessen lernten wir am Abend vor der Arbeit schnell was weg und holten trotzdem eine 2+. Genial. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, es war nicht ganz so. Sondern anders: Im Prinzip lernte ich stets gezielt und diszipliniert. Hätte ich mehr getan, wäre ich kaum besser gewesen. Ich war einfach eine 2+. Jedenfalls legte ich am Abend Dr. Hook auf. „Everybody’s Making It Big But Me“ (1976). Es ist die Geschichte eines Rock ’n’ Rollers, der das Gefühl hat, als Einziger nicht den großen Durchbruch zu schaffen. Darin sind die unvergesslichen Zeilen: „They got groupies for their band / all I got is my right hand.“ Tja. Goldene Humorzeiten waren die 70er auch. Dr. Hook galten ja eher als Scheißband, wenn sie überhaupt was galten. Erst machten sie Country-Pop mit ironisch-distanzierten Texten, dann schleimten sie sich mit Dorfdisko-Pop in die Billboard-Top-Ten. Wer sich gar nicht erinnert: Der Sänger Ray Sawyer trug diese doofe Augenklappe.

Ich war wieder auf Dr. Hook gestoßen, als mir der Zweitausendeins-Gründer Lutz Kroth erzählte, dass es eines seiner Ziele in den 70ern gewesen sei, in den Rolling Stone (RS) zu kommen. Ich, automatisch: „Cover of the Rolling Stone“? Und er: „Dr. Hook. Genau.“ Dr. Hook kamen dann kurz nach Veröffentlichung des Songs 1973 tatsächlich aufs Cover. Was mal wieder bestätigt: Man darf nicht warten, bis jemand merkt, was man will und wie genial man ist. Man muss es den Leuten sagen. Laut. Was Kroth betrifft, so machte er dann einfach einen Versand in den USA auf und schaltete im Stone Anzeigen. Diese 68er! Die gingen noch ab. Von uns war doch sicher weder einer auf dem RS-Cover, noch hat einer jemals Anzeigen geschaltet.

Wenn ich so über Dr. Hook nachdenke, fällt mir der Diskoschleicher „Sharing The Night Together“ (1979) ein. Da trifft der Sänger auf ein Mädchen und sagt, dass sie einsam aussehe und falls das so sei, ob sie nicht mit ihm tanzen, ihn halten und schlussendlich die Nacht mit ihm verbringen wolle. Ob es einen Ort gebe, wo man hingehen könne und die Lichter dimmen? Dieses Kommunikationsmodell hat mich damals sehr interessiert. Ich konnte es nur nie umsetzen. Als ich dann doch den ersten großen Kracher abbekam, lernte ich die tiefe Wahrheit von Dr. Hooks „When You’re In Love With A Beautiful Woman“ (1979) kennen. „Everbody wants to take your baby home“ hieß es da, und: „Watch your friends“. Es war die Wahrheit. Ich sah es in den gierigen Augen meiner Freunde. Oder sollte ich sagen: meiner sogenannten Freunde. War eine aufreibende Zeit. Wo ich herkomme, gilt nämlich die Regel: Was Besseres kommt selten nach. Womöglich hätte ich es also dabei bewenden lassen.

Aber hieß es bei Dr. Hook (1980) nicht auch „Better Love Next Time“? Ich vertraute dem Doc und muss sagen, ich bin immer gut damit gefahren. Und dann fällt mir noch der Schlagersänger Randolph Rose ein. Der war ein G.I.-Geschenk an ein deutsches Fräulein. In den frühen 70ern schaffte er es ein paarmal zu Dieter Thomas Heck, u. a. mit der deutschen Version des ersten Dr.-Hook-Hits: „Sylvia’s Mother“ (1972). Darin geht es um einen unglücklich Verliebten, der bei Sylvias Mutter anruft und Sylvia sprechen will. Die Mutter sagt ihm, Sylvia könne nicht ins Telefon kommen, sie habe sich umorientiert. Dr. Hooks Song war ironisch, der Schlager nicht. Jedenfalls, hieß es, dieser Rose habe ein Mädchen aus dem Dorf geschwängert. Ich muss deshalb heute noch daran denken, weil es mit Abstand das Aufregendste war, was in diesem Ort jemals möglicherweise passiert ist.

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