Affäre? Zweitfrau? Scheidung?

Die Grünen müssen vor dem G-8-Treffen endlich ihr Privatleben ordnen: Wie sehr sollen sie mit ihren früheren Partnern flirten, den sozialen Bewegungen? Was ist von einem Dreier mit der Linksfraktion zu halten? Und die Affäre mit der SPD?

VON KATHARINA KOUFEN

Die Frage ist, ob man nach einer Affäre oder einem Seitensprung so tun kann, als wäre nichts gewesen. Vielleicht kann man sagen: Hallo, hier bin ich wieder, mit dem anderen war’s doch nicht so toll. Hat mich nur nach seiner Pfeife tanzen lassen. Oder man kann sagen: Lass uns über alles reden. Ich brauche Zeit, mich zu entscheiden. Oder man sagt klipp und klar: Bei mir und dem anderen herrscht zwar auch gerade Funkstille, aber ich bin weiterhin bereit. Mach dir also keine Hoffnungen mehr.

Bei den Grünen ist es nun nicht so, dass die SPD ein bloßer Seitensprung war. Sondern eher der einflussreiche ältere Herr, den die junge Kreative braucht, um ihre Ideen zu verwirklichen. (Jaja, natürlich suchen sich auch jüngere kreative Männer manchmal die wohlsituierte ältere Dame …) Es war zumindest eine intensive Affäre, der jahrelange Flirtbereitschaft vorausgegangen war. Da ist es nicht einfach, hinterher zum langjährigen Partner aus der Vorregierungszeit zurückzugehen und ihm die Hand zu reichen.

Alte Genossen sind verprellt

Zumal es den einen Partner ja nicht gibt. Die Grünen waren zwei Jahrzehnte lang mit denen liiert, aus deren Mitte sie entstanden sind. Mit der Ökologiebewegung, der Friedensbewegung, der Anti-AKW-Bewegung, der Dritte-Welt-Bewegung, der Frauenbewegung und all denjenigen Linken, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzten. Bewegungen also, die sich bis heute ganz unterschiedlich entwickelt haben. Und Bewegungen, die zwischen 1998 und 2005 unterschiedlich schmerzhaft von den Grünen verletzt wurden. Oder verraten.

Inzwischen sind gut anderthalb Jahre vergangen – und eine erste Probe des neuen Verhältnisses steht bevor: der G-8-Gipfel in Heiligendamm. Der erste in Deutschland seit 15 Jahren, den die Grünen wieder als Opposition miterleben. Alles, was an Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Rang und Namen hat, mischt mit. Ein sehr breites Bündnis ruft zum Gegengipfel auf, ein etwas weniger breites zur großen Demonstration am 2. Juni. Und die Grünen?

Sind wie üblich hin- und hergerissen. G-8-erfahrene Protestler erinnern sich, dass die Grünen 1992 in München Aufrufe gegen „Kriegstreiberei“ selbstverständlich unterschrieben haben. Jetzt allerdings wird eine Politik verdammt, die sie ja selbst zu Regierungszeiten mitgetragen haben. Und die sie vielleicht auch bald schon wieder mittragen müssen, wenn sie 2009 mitregieren wollen. Die Lösung des Problems ist Grünen-typisch: Der gemäßigtere Aufruf zum Gegengipfel wird von vielen unterschrieben, der radikalere Demo-Aufruf nur von einigen wenigen.

Parteichefin Claudia Roth unterschreibt den radikaleren Text nicht und begründet dies per Brief an die „lieben Mitstreiterinnen und Mitstreiter im NGO-Netzwerk: Bei aller berechtigten Kritik ist es mir zu einfach, die G 8 als ‚Vorreiter einer auf Krieg gestützten Weltordnung‘ zu verstehen.“ Trotzdem „werden wir wie geplant für die Großdemo mobilisieren und sind auch weiterhin an einer gemeinsamen Abstimmung interessiert.“ Sie verweist auf den G-8-Beschluss des Grünen-Parteitags. „Viele unserer Forderungen stimmen überein.“

Dagegen unterschreibt Christian Ströbele, der gute Mensch der Grünen. Sein Name fällt regelmäßig auf die Frage, ob es für die Friedensbewegung noch glaubwürdige Grüne gibt. Und der von Winfried Hermann. „Wir rechnen es Christian und Winne hoch an, dass sie 2001 gegen den Afghanistaneinsatz gestimmt haben“, heißt es dann.

Ansonsten können vielen Leuten aus der Friedensbewegung die Grünen ein für alle mal gestohlen bleiben. Denn für keine andere der Sozialen Bewegungen war der Bruch mit der Partei größer. „Mit dem Kosovokrieg 1999 und dann mit Afghanistan haben die Grünen eine Grenze überschritten, was ihnen nicht vergeben wird“, sagt einer, der lange Jahre bei der Friedensbewegung war, jetzt bei Attac mitmacht und lieber nicht namentlich genannt werden möchte. „Vor allem nicht von denen, die sich inhaltlich und innerlich eigentlich immer noch als Grüne fühlen.“

Weit weniger zerrüttet war nach den sieben Regierungsjahren das Verhältnis zur Ökobewegung. Es hatte zwar auch immer wieder Enttäuschungen gegeben – immer dann, wenn die SPD-geführten Ressorts Wirtschaft, Finanzen und Verkehr wieder einmal das letzte Wort hatten. Aber trotzdem fiel die umweltpolitische Bilanz am Ende der Regierungszeit ziemlich gut aus.

Auch die Ökobewegung selbst hat sich verändert. Viele NGOs mutierten unter Rot-Grün von kämpferischen Baumschützern zu Regierungsberatern und zahmen Lobbyisten. „Sie haben verlernt, konfrontativ zu sein“, sagt ein Attac-Mitstreiter, der in die Vorbereitung der G-8-Proteste involviert ist und ebenfalls nicht namentlich genannt werden will. Der gemeinsame Gegengipfel steht ja noch bevor. Heute sind die Umweltverbände wohl von allen sozialen Bewegungen am engsten mit der Parteiführung verbandelt.

Allerdings zeigt sich auf Debatten zum Klimaschutz im Vorfeld von Heiligendamm: Die Umweltverbände wünschen sich wieder mehr Mut und Radikalität bei den Grünen. „Es fehlen glaubwürdige Vertreter in der Öffentlichkeit, die für Wandel stehen“, sagt der Attac-Mitstreiter. Immerhin habe man mit „gewissem Wohlwollen“ beobachtet, wie Parteichef Reinhard Bütikofer letzten Herbst auf der Anti-Castor-Demo in Gorleben auftauchte. Und dass er auch „noch länger“ geblieben wäre, wenn seine Begleitung nicht so gefroren hätte. „Das war doch irgendwie süß, oder?“ Irgendwie der Versuch, die Herzen der vielen Castor-Gegner zurückzuerobern, für die der Kompromiss zum Atomausstieg unter Rot-Grün Verrat war. Dass Umweltschutz für Bütikofer eine Herzenssache ist – das nimmt ihm der Attac-Kritiker nicht ab. „Für Bütikofer gilt wie für die anderen Grünen aus dem Führungsquartett auch: Er weiß, dass diese Themen für einen Grünen wichtig sind. Er hat da ein pragmatisches Verhältnis. Aber er steht nicht dafür.“

Neben Klimaschutz und Militäreinsätzen steht Afrika in Heiligendamm auf der Tagesordnung. Die entwicklungspolitischen NGOs mischen also auch mit. Naturgemäß sind sich diese Gruppen auch untereinander oft nicht einig – stammen sie doch von Kirche bis K-Gruppe von überall her. So ist es für die radikaleren nicht legitim, Forderungen an die G 8 zu stellen, weil die G 8 als solche nicht legitimiert sind. Sondern ein kleiner, intransparenter Club der Reichen. Wer so denkt, kann sich die Zusammenarbeit mit Grünen wie Uschi Eid nicht vorstellen – hat sie doch Exkanzler Schröder 2003 zur G-8-Afrikabeauftragten ernannt. Und der Grüne Exaußenminister Fischer saß 2001 in Genua im Kongresszentrum, während draußen ein Demonstrant starb.

Für den entwicklungspolitischen Sprecher Thilo Hoppe ist die Zusammenarbeit denn auch „ein schwieriges Kapitel“. Trotzdem glaubt er, dass die Grünen über die „Doppelbotschaft“ an die Bewegung anschlussfähig sind: den G-8-Gipfel prinzipiell in Frage zu stellen und dennoch an diese Runde bestimmte Forderungen zu stellen.

Wenn die Leidenschaft verfliegt

Apropos Genua: Nach dem Treffen 2001 war die Globalisierungskritik, namentlich Attac, in aller Munde und in allen Zeitungen. Da stellten die Grünen plötzlich fest, dass sie den Anschluss an die Bewegung verpasst hatten. „Wir haben unterschätzt, dass Globalisierung nicht nur ein Nischenthema ist“, sagte Roth im Sommer 2001 der taz. Grünen-Promi Daniel Cohn-Bendit warf seiner Partei vor, sie habe die Globalisierungskritik „verschlafen“. Und Attac-Mitbegründer Sven Giegold sagte im taz-Streitgespräch zur Grünen-Abgeordneten Kerstin Müller: „Leider steht zum Thema Globalisierung verflixt wenig Konkretes in dem neuen grünen Grundsatzprogramm.“ Damals glaubten die Grünen noch an ihre Affäre. Vielleicht befanden sie sich gerade in dieser Phase, in der die erste Leidenschaft verflogen ist und mgan dem zweifelnden Partner ganz besonders deutlich zeigen will, dass man mit der Vergangenheit Schluss gemacht hat.

Heute sieht die Situation für Teile der Bewegung umgekehrt aus: Der betrogene Partner liebäugelt mit einer neuen Liaison: der Linksfraktion. All diejenigen, die mit der rot-grünen Sozialpolitik nicht zurechtkamen. Für die Hartz IV, nach den Militäreinsätzen und dem Atomausstieg, der dritte große Verrat der Grünen bedeutete.

Das geht mittlerweile schon so weit, dass die Linke den NGOs auf Demonstrationen im Gipfel-Vorfeld gerne mal die Show stiehlt, „wenn Oskar Lafontaine wieder einmal eine seiner Schoten reißt und dann als Einziger in der ‚Tagesschau‘ läuft“, wie ein Grünensympathisant klagt, der für den Gegengipfel trommelt. Auch verließen sich die Ost-Aktivisten längst allesamt darauf, dass die PDS im Osten die notwendige Infrastruktur zur Verfügung stellt. Andererseits: Wenn es um effiziente Planung geht, haben auch die West-Aktivisten nichts gegen eine straffe Organisation – und erwarten, dass der DGB sich kümmert. Auf die Grünen könne man sich da ja nicht mehr verlassen – „in den Kreisverbänden weiß ja kaum mehr einer, wie man einen Demo-Bus organisiert“, lästert der Aktivist weiter.

In der Bewegung sieht man die Zusammenarbeit mit – Kritiker sagen: Das Sichheranschmeißen – der Linkspartei mit gemischten Gefühlen. Einerseits stößt sich manch ein libertärer Mittfünfziger aus Westdeutschland an der „Apparatschik-Mentalität“. Andererseits glauben viele, dass sich ein linkes realpolitisches Projekt wie Rot-Grün in Zukunft nur noch mit der Linkspartei machen lässt. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass 2009 eine Dreierkonstellation die Regierung bilden wird.

Die Realos in der Bewegung stellen sich also auf eine bigame Zweckbeziehung ein: sowohl Grüne als auch Linkspartei so weit befruchten, dass eine neue Regierung möglich wird – und damit die Chance, eigene Ideen und Ziele zu verwirklichen. Die Grünen allerdings halten zurzeit noch wenig von der Zweitfrau-Idee. Ihre Spitze betont immer wieder, eine Koalition mit der Linken stehe nicht zur Debatte. Eine Ampel allerdings unter Einbeziehung der FDP – das wäre wohl der ultimative Scheidungsgrund.