Hier triffst du sie wieder

Kirsten Reinhardts Gastrokritik: Das Weinerei-Café an der Zionskirche ist für das gepflegte Bürgersteig-Sonnenbaden am Morgen danach

Wie der typische Osterberliner Bürgersteig ist auch das Stück an der Veteranen- Ecke Fehrbelliner Straße ein Flickwerk aus Platten, löchrigem Pflasterstein und Teerauffüllseln. Eigentlich dürfen die Stühle nur auf den großen Platten stehen, doch im Laufe des Nachmittags wächst das Café. Die Gäste rutschen der Sonne hinterher, bis sie fast an die Hecke aus Fahrrädern stoßen, die Weinerei-Areal und Straße voneinander trennt.Der gelassene Weinerei-Besucher schenkt ihnen allenfalls einen spöttischen Blick, schwenkt seinen Milchkaffee in der Flohmarkttasse und rutscht ein bisschen tiefer in den knarzenden Stuhl mit Blümchenmuster, der von einer Haushaltsauflösung stammt und einst wohl eine gute Stube schmückte.

Hier gibt man sich lässig, blättert in einer der ausliegenden Tageszeitungen, beobachtet und wettet mit sich, ob das nächste Kind wohl von seinem Laufrad fällt. Weinerei ist Understatement. Die Tische und Hocker draußen sind aus Weinkisten gebaut, drinnen ist es ein bisschen staubig mit dem sorgsam vom Trödler zusammengesammelten Mobiliar. Der breite Holztresen, vor dem die Gäste ab mittags Schlange stehen (Selbstbedienung), ist überladen. Kaffee, Schorlen mit Apfel-, Sanddorn-, oder Traubensaft vom Winzer kosten ebenso 1 Euro wie die belegten Brötchen mit Käse, Wurst, Salat und Möhrenstreifen, die Bio-Tees von Halswohl- bis Limetten-Minze und die Croissants. Der Kuchen ist hausgemacht und saftig: Schokoladenkuchen und Sahnetorte sind eine Sünde, der Apfelkuchen wie frisch von der Bräuteschule.

Die Tram kriecht die Veteranenstraße hoch. Gegen 13 Uhr trudeln die Verkaterten ein: Brille über den roten Augen, den Rauch vom Vorabend noch im Haar. Die bekommen eine deftige Suppe für 2 Euro. Wer sich am Abend in den Bars zwischen Rosenthaler Platz und Schönhauser Allee herumtrieb und den Menschen, der den Abend zum Leuchten brachte, dann doch nicht angesprochen hat – die Wahrscheinlichkeit, sie oder ihn hier wieder zu treffen, ist recht hoch. Fraglich nur, ob man im grellen Sonnenlicht mutiger ist – oder es überhaupt noch sein will.

Um 20 Uhr beginnt der Weinerei-Betrieb: Das Glas wird für 1 Euro gemietet und kann mit Wein oder Sekt (vom Weinerei-Laden gegenüber) gefüllt werden. Es gibt ein warmes Buffet, am Ende zahlt der Gast einen fairen Preis. Und wenn die Sonne untergegangen ist und die Weinerei um Mitternacht ihre Türen schließt, ist es nicht mehr weit in die nächste Bar: neue Chance.

WEINEREI, Veteranenstr. Ecke Fehrbelliner Str., geöffnet Mo.–Sa. 10 bis 24 Uhr, So. ab 11 Uhr, M1 und M12 Zionskirchplatz, M8 Invalidenstr., Getränke, Kuchen, Brötchen: 1 Euro, Suppe 2 Euro, Tipp: Für einen Sitz in der Sonne vor 13 Uhr kommen