Frankreichs Linke sind sich nicht grün

Bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen treten gleich sechs KandidatInnen aus dem grünen, globalisierungskritischen und linksradikalen Lager an. Zwei von ihnen können sich vorstellen, im zweiten Wahlgang Ségolène Royal zu unterstützen

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

„Weißt du, für wen du stimmst?“ – das ist die häufigste Frage dieser Tage in Frankreich. Die Antwort ist vielfach ein lautes Seufzen. Drei Wochen vor dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen am 22. April ist die Unentschiedenheit extrem. Am allergrößten ist sie bei radikalen Linken.

Diese halten wenig von der sozialliberalen Kandidatin der PS, Ségolène Royal. Andererseits haben sie links davon die Qual der Wahl: Dort konkurrieren sechs verschiedene KandidatInnen um das Spitzenamt. Drei TrotzkistInnen, eine Grüne, eine Kommunistin und ein Globalisierungskritiker. Gemeinsam könnten die linken KandidatInnen mehr als 14 Prozent abkassieren. Aber vereinzelt, vielfach gespalten und zerstritten, wie sie sind, darf die – oder der – Stärkste von ihnen nach gegenwärtigen Prognosen maximal 4 Prozent erwarten.

Die Enttäuschung bei den WählerInnen ist spürbar. Viele fühlen sich im Stich gelassen, verraten und schimpfen über „Apparate“, „Eitelkeiten“ und „Egoismen“. Nachdem fast alle Linken gemeinsam im Frühling 2005 eine Kampagne gegen die EU-Verfassung gemacht hatten, war die Hoffnung auf eine gemeinsame Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen groß. Schließlich hatte die Linke die meisten FranzösInnen animiert, die die EU-Verfassung mit 55 Prozent „Non“-Stimmen zu Fall gebracht haben. Nach dem Referendum von 29. Mail 2005 versuchten die linken NeinsagerInnen, die rund 12 Millionen Menschen hinter sich hatten, eine gemeinsame Kandidatur zustande zu bringen. Sie sollte antiliberal sein, sozial und proeuropäisch.

Doch schon bald stellte sich heraus, dass die Traditionsparteien nicht auf eigene Kandidaturen verzichten wollten. Am Ende brach das breite Bündnis auseinander. Der Postbote Olivier Besancenot von der trotzkistischen LCR und die Lehrerin Marie-George Buffet von der KPF kandidierten schließlich jeweils getrennt. Bei beiden siegte die Logik, die der präsidentialen französischen Verfassung innewohnt: Ohne Präsidentschaftskandidat oder -kandidatin existiert eine Partei in Frankreich nicht. Andere linke Organisationen hatten sich erst gar nicht an der Suche nach einer gemeinsamen Kandidatur beteiligt: die Grünen, die jetzt mit Dominique Voynet als Kandidatin antreten. Die trotzkistische LO, mit der Dauerkandidatin Arlette Laguiller, und die trotzkistische PT, mit dem Landbürgermeister Gérard Schivardi, der von sich selbst erstaunlicherweise versichert, er sei gar kein Trotzkist.

Nach dem Ausscheren der Apparate blieben jene vielen Linken übrig, die weiterhin an eine eigene, globalisierungskritische Kandidatur glauben wollten. Unter ihnen sind zahlreiche – auch prominente – DissidentInnen aus LCR, KPF und Grünen. Nach langem und öffentlich ausgetragenem Streit schafften sie es knapp vor Ablauf der Bewerbungsfrist, einen gemeinsamen Kandidaten zu finden: sie wählten den Bauerngewerkschafter und internationalen Politstar José Bové.

Mit Bové und den anderen linken KandidatInnen ist ein Stück reales Frankreich in die Kampagne eingebrochen. Sie wagen es, von jenen Themen zu sprechen, die die „großen“ KandidatInnen sorgfältig umschiffen: allen voran der Wirtschaftsliberalismus, die explosive Lage in den Banlieues und die Forderung nach einer Neuverhandlung der EU-Verträge. Mit ihnen ist jenes Frankreich plötzlich präsent, in dem an die neun Million Menschen – mehrheitlich Frauen – von weniger als 1.500 Euro im Monat leben und die Zahl der Arbeitslosen und Obdachlosen ständig steigt.

Das Problem für die WählerInnen ist, dass die Programme der sechs Linken sich in zentralen Fragen wenig unterscheiden. Alle wollen mehr Steuern für SpitzenverdienerInnen. Alle wollen die Mindestlöhne radikal erhöhen. Alle wollen die Hire-und-Fire-Politik der großen Unternehmen kontrollieren. Und die meisten wollen den mehreren hunderttausend „Papierlosen“, die in Frankreich leben, Ausweise geben.

Der größte Unterschied der sechs liegt vielleicht im Verhältnis zur PS. Im zweiten Wahldurchgang werden einzelne von ihnen – die Grünen und die KPF – die sozialdemokratische Kandidatin unterstützen. Sie sind auch bereit, nach den Wahlen mit ihr in einer Regierung zusammenzuarbeiten. Die anderen nicht.