Amtszeit mit Schnitzern

Nicht nur das jüngste EU-Verfahren könnte Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander im Jahr vor der Wahl gefährlich werden

Umweltverbände und Opposition in Niedersachsen rieben sich die Hände, als die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gestern ankündigte, die Europäische Union habe ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) eingeleitet. Der bei Bauern beliebte, dafür bei Umweltfreunden verhasste Liberale hatte im vergangenen Herbst eine PR-Aktion im Bioshärenreservat Elbtalauen gestartet: Eigenhändig fällte er mit einer Kettensäge vor laufenden Kameras eine Weide, um das Gelände für den Hochwasserschutz zu „entbuschen“.

„Er hielt das offensichtlich für eine heroische Tat“, sagte DUH-Geschäftsführer Rainer Baake. Dabei zürne die Kommission „wegen eines besonders groben Eingriffs in ein Naturschutzgebiet“ und klage über „mangelnde Loyalität“ Niedersachsens gegenüber der EU, weil Sanders Haus nicht schnell genug Unterlagen geliefert habe. Baake, einst Staatssekretär von Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne), forderte genüsslich Sanders Rücktritt: „Herr Wulff“ müsse die Sache wieder gerade biegen.

Zurzeit glaubt in Hannover niemand, der Job des „Kettensägen-Ministers“ könne durch die EU-Rüge tatsächlich wackeln. Allerdings hat sich das 63-jährige Ungestüm in seiner Amtszeit schon einige Schnitzer geleistet. Das sehen auch einige in der FDP so. Die Summe der Patzer hat im Jahr vor der Landtagswahl Gewicht.

Abschaffung des eigenen Ressorts: Sander, der „Umweltschutz mit den Menschen“ will, lässt hinter vorgehaltener Hand nie Zweifel daran, dass er sein Ministerium am liebsten im Landwirtschaftsressort aufgehen ließe. Bloß: Dort sitzt Hans-Heinrich Ehlen (CDU). Wohin mit dem FDP-Mann, der 2003 völlig unerwartet den Ministerposten ergattert hatte?

Abmagerung der Umweltbehörden: Das von ihm als zu wissenschaftlich kritisierte Landesamt für Ökologie löste Sander komplett auf. Naturschutz ist ihm zu kompliziert, Sander hält ihn häufig für zu teuer („Schickimicki“). Das könnten „die Leute vor Ort regeln“. Kritiker beklagen den Verlust von Sachverstand, Sander degradierte im eigenen Haus Experten mit SPD-Parteibuch. Der Berliner Sachverständigenrat für Umweltfragen verbannte Niedersachsens Umweltverwaltung gerade im Bundesvergleich auf den letzten Platz.

Kampf für die Atomenergie: Das Posieren mit dem „Kerngesund“-Shirt im Schacht Konrad Ende 2003 ist legendär. Stets sprach sich Sander für Gorleben und Schacht Konrad als Endlager für Atommüll aus, bei den regenerativen Energien kürzte er. Am liebsten würde er die FDP selbst neue Atomkraftwerke bauen lassen. Die Partei überlässt das aber qua Programm der Wirtschaft.

Die EU als Feind: Auch bei Ausweisung von FFH- und Vogelschutz-Gebieten gerierte sich Sander als Schreck der ihm verhassten Eurokraten, indem er jahrelang die Forderungen nach Ausweisung von Arealen ignorierte. Die renitente Haltung dürfte auch die Ursache für die harsche Reaktion Brüssels im Kettensägen-Streit sein. KSC

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