Angst vor Strom-Autobahnen

Der Stromriese Eon plant, in Norddeutschland über 500 Kilometer lange Hochspannungsleitungen zu errichten. Anwohner und Politiker wehren sich gegen die oberirdische Verlegung der Stromkabel. Sie fürchten den Elektro-Smog

von KAI SCHÖNEBERG

Sie knistern, brummen und summen. „Wenn die Hochspannungsleitung steht, komme ich mit meinen Pferden nicht mehr vom Hof“, fürchtet Gerd von Seggern. Die sensiblen Tiere, mit denen er in der Nähe von Ganderkesee im Bremer Westen Behinderte therapiert, werden von den Geräuschen der Hochspannungsleitung scheu werden, meint von Seggern.

Und das ist nicht alles. Seggern fürchtet Migräne und Schlafstörungen durch Elektrosmog und magnetische Wellen, zudem Wertminderungen an seinem Bauernhof und einen Verlust an Wohnqualität, wenn die 60 Meter hohe und etwa 60 Kilometer lange „Strom-Autobahn“ von Ganderkesee ins Umspannwerk St. Hülfe bei Diepholz gebaut wird. Von Seggern: „30 Meter neben unseren Garten würden dann 34 dicke ‚saftige‘ Stromkabel hängen – das wird nett, dabei eine Tasse Tee zu trinken.“

Die 380-Kilovolt-Leitung von Ganderkesee ins Umspannwerk ist nur ein Teil des riesigen Ausbauprogramms, mit dem der Stromkonzern Eon den Norden Deutschlands überziehen will. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind über 500 Kilometer lange Kabeltrassen oberirdisch geplant.

„Wir werden nirgendwo mit offenen Armen empfangen“, sagt Anja Chales de Beaulieu. Die Sprecherin von Eon Netz ist Protest gewöhnt. „Jede Trasse hat ihre Bürgerinitiative“, sagt die Chales de Beaulieu. Dabei halte Eon „selbstverständlich“ alle Grenzwerte ein. Außerdem seien die Leitungen für neue Windräder an Land und auf See, aber auch für die in Wilhelmshaven, Stade oder Emden geplanten Kohlekraftwerke unabdingbar, um den produzierten Strom vom bevölkerungsschwachen Norden gen Süden zu transportieren, wo er gebraucht wird.

„Wir haben Verfahrensfehler im Raumordnungsverfahren gefunden und werden klagen, das ist Fakt“, sagt Frank Windhorst von der Interessengemeinschaft „Vorsicht Hochspannung“, die sich mit 3.500 Mitgliedern gegen die Trasse bei Ganderkersee wehrt. Mit im Boot: Bürgermeister und Ratsherrn quer durch alle Parteien. Überall in der Region stehen Protestschilder, auf denen Eon als „Energie ohne Nachdenken“ firmiert. Keiner der betroffenen 500 Eigentümer wolle Eon sein Grundstück verkaufen, ist Windhorst sicher. „Dann müssen sie eben enteignen. Das ist wie David gegen Goliath.“

Der Widerstand richtet sich nicht gegen die Trassen an sich, wohl aber gegen die hässlichen Strom-Spargel und ihre möglicherweise gefährliche Strahlung: „Wir sehen ein, dass die Stromversorgung in Deutschland sicher sein muss, aber nicht mit dieser Steinzeittechnik“, sagt Windhorst. Die Eon-Sprecherin kontert, eine unterirdische Verlegung der Kabel sei mindestens doppelt so teuer und technisch in diesen Längen nicht machbar: „Die einzige unterirdische Stromleitung gibt es in Deutschland zur Zeit in Berlin-Mitte.“

Auch im Süden Niedersachsens droht den Trassen-Planern Ungemach. Bürgermeister, Landräte und betroffene Anwohnern formieren sich derzeit gegen die 180 Kilometer lange Trasse zwischen Wahle bei Braunschweig und dem nordhessischen Mecklar. Von Vorschlägen, die Masten ins bevölkerungsarme Thüringen zu legen, will Eon nichts wissen: „Das ist das Nimby-Prinzip“, meint Eon-Sprecherin Chales de Beaulieu. Nimby steht für „Not in my backyard“ – „Nicht in meinem Hinterhof“. Eon will den Planungskorridor zusammen mit zwei weiteren Trassen ins Landesraumordnungsprogramm aufnehmen lassen, das noch im Sommer vom Parlament in Hannover beschlossen werden soll. „Davon erhoffen wir uns eine Beschleunigung der Verfahren“, sagt die Sprecherin. Etwa 2015 soll das etwa 200 Millionen Euro teure Projekt stehen.

„Grundsätzlich müssen Leitungen unterirdisch verlegt werden“, sagt ein Sprecher des für die Raumordnung zuständigen Landesagrarministeriums. Allerdings müsse die „Verhältnismäßigkeit“ bei den Kosten beachtet werden. „Wir versuchen, so viele Leitungen wie möglich an bereits Bestehende zu legen. Aber das stößt an Grenzen, wenn da schon Siedlungen stehen.“ Zudem seien oberirdische Leitungen „der Stand der Technik“.

Das sieht Initiativen-Sprecher Windhorst anders: „Unterirdische Leitungen gibt es sogar in Saudi-Arabien.“