Stadien der Räudigkeit

Wie kann eine Stil-Ikone in so vielen Belangen keinen Geschmack beweisen? Ex-Stil-Ikone Bryan Ferry sang im Tempodrom

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Bryan Ferry gilt seit den Roxy-Music-Zeiten in den fernen Achtzigern als Stilikone. Stilikone, dieses Wort ist quasi für ihn erfunden worden. Im mittlerweile fortgeschrittenen Alter inszeniert er sich gern als englischer Landadliger, der bevorzugt über schöne Dinge wie maßgeschneiderte Sakkos, geschmackvolle Bettüberwürfe und Möbel spricht. In einem Interview der Süddeutschen Zeitung gab Ferry jüngst die konservative Diva vom Land, kritisierte die Blair-Regierung wegen ihrer Stillosigkeit und des Verbots der Fuchsjagd und erzählte voll prustendem Stolz, er sei zum Gala-Diner der Tories eingeladen. Und würde natürlich hingehen.

Nun denn. Ferry stand irgendwie weiter für gutes Aussehen, dandyeskes Auftreten und eine schillernde Sängerpersönlichkeit. Und so ging man am Montagabend mit der Arbeitshypothese zum Konzert, dass ein gewisser Stilwille ein gutes Mittel sein könnte gegen die gerade in Musikerkreisen gern aufkommende Altmännerräudigkeit.

Als Ferry im Tempodrom auf die Bühne kommt mit diesem eigentlich plumpen, schlenkernden Gang, der dunklen Strähne, die ins Gesicht fällt, dem schwarzen Anzug, der schmalen Krawatte, da hätte fast noch alles gut gehen können. Aber dann fängt die Band an: drei Gitarren, Bass, zwei Keyboards, Piano, Saxofon, eine Teufelsgeigerin, Percussion, Schlagzeug, Backgroundsängerinnen. Geht Ferry von der Bühne, um sich umzuziehen oder sonst wie frisch zu machen, soliert der Saxofonist, während dem Gitarristen ein Stuhl gebracht wird. Jedes Stück wird von der Band mit so dermaßen abgeschmackten Rockstandards zugemüllt, als stünden Phil Collins oder Bryan Adams da vorne. Joe Cockers Auftritt bei „Wetten, dass …?“ am Samstag war dagegen reinste Avantgarde.

Warum lässt jemand mit Stilwillen eine Begleitband so schreckliche Musik machen? Tut ihm das Gitarrengegniedel nicht weh, stören die abgestandenen Solis nicht sein ästhetisches Empfinden? Ist die Stilikone im Zustand eines fortgesetzten Blackouts, wie ihn schon die Vorderansicht seiner CD „Dylanesque“ – mit dem hässlichsten Cover der Musikgeschichte – zeigt?

Im eingangs erwähnten Interview beklagte Ferry, es werde wohl nie zu einer Roxy-Music-Reunion kommen, weil Brian Eno im Studio wochenlang an Kleinigkeiten herumwerkele, um dann alles wieder zu löschen. Im Tempodrom hätte man sich gewünscht, Ferry wäre ein klein wenig wie Eno und würde sich mehr um Arrangements und Sounds kümmern. Deswegen gilt im Laufe des Abends: Je weniger Instrumente zum Einsatz kommen, desto weniger unangenehm ist es. Wenn Ferry am Flügel sitzt, wenn die Gitarren schweigen, gibt es durchaus schöne kurze Momente: Ein unbekannteres Bob-Dylan-Stück wird zur schönen Gemütsballade, bei „Jealous Guy“ und seinem herzzerreißenden Pfeifsolo kommt kurz die alte Ferry-Magie zurück.

Aber der Rest-Dylan: Ferrys „Dylanesque“-Album versammelt wahnsinnig unspektakuläre Dylan-Coverversionen und ist, gelinde ausgedrückt, überflüssig wie ein Kropf. Dabei hätte man ja durchaus vielen tollen Songs, die Dylan selbst seit Jahren live krächzend zersingt und nuschelnd zerstört, durch einen so nuancenreichen Sänger wie Bryan Ferry die Melodie zurückgeben können. Aber nein: Alles, was gut ist an Dylan, das Schnarrende, Gefährliche, wird glatt gebügelt, „Times Are A-Changing“ wird zum Mitschunkelhit und das apokalyptische „A Hard Rain’s Gonna Fall“ zum Wohlfühlsong, der die Menge zum vergnügten Hüpfen bringt. Warum muss man „All Along The Watchtower“, warum das totgehörte „Knockin’ On Heaven’s Door“ covern, wenn gar nichts Neues, Anderes dazukommt? Vielleicht ist es tatsächlich so, dass Ferry einfach gerne auf Welttour unterwegs ist, dass ihm aber nach all den Solo-Cover-Platten so langsam das Material ausgeht. Seine Swingphase hat er ja schon 1999 mit „As time goes by“ ausgekostet.

So verging denn der Abend im Tempodrom mit vielen unnötigen Dylan-Covern und einigen alten Roxy-Music-Hits. Bei der Zugabe, „Let’s Stick Together“, gab es für den Saal kein Halten mehr, die Menge stob nach vorne, riss die Arme nach oben – vom Exglamrocker auch noch zum Mitklatschen aufgefordert.

Das Publikum im Tempodrom war im Übrigen schon recht erwachsen, befand sich also weit jenseits der Lebensmitte, auch wenn hie und da vereinzelt 12-jährige Skatepunks in den Sitzen lümmelten und 27-jährige Blondinen in Sommertops sich an strategisch günstigen Stellen aufbauten, um ausgiebig den Körper und das Haar zu schütteln. Das ist also „Adult Oriented Pop Music“.

Fazit: Bryan Ferry sieht zwar mit 61 Jahren weniger räudig aus als alle anderen, ist aber innerlich längst zur umherreisenden Seniorenbelustigung geworden.