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LESERINNENBRIEFE

Demokratie spielt keine Rolle mehr

■ betr.: „So funktioniert ein freier Markt“, Interview mit US-Staatssekretärin Catherine Novelli, taz vom 10. 9. 14

Es ist zwar schon einige Zeit her, aber ich habe im Wirtschaftskundeunterricht gelernt, dass ein freier Markt sich über Angebot und Nachfrage in einem bestimmten Sektor reguliert und funktioniert. Dass sich dies in der kapitalistischen Gesellschaft bereits dahingehend verändert hat, dass unter Mitwirkung der Regierung Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden, habe ich mittlerweile auch begriffen. Zum Funktionieren eines freien Marktes gehört aber auch, dass der Käufer erkennen kann, was er erwirbt, und dazu bedarf es der Information über das Produkt. Hier bemüht sich Frau Novelli sehr darum, diesen Informationsmangel außen vor zu lassen, wenn es zum Beispiel um die Deklaration von genveränderten Lebensmitteln geht. Auf diese Frage kann sie dann „nicht ins Detail gehen“, wie sie bei weiteren kritischen Fragen immer wieder nicht ins Detail gehen kann.

Dass es aber zum Funktionieren eines freien Marktes gehört, entgangene beziehungsweise vermutete Gewinne vor nicht rechtlichen Gerichten einzuklagen, um solche Pseudogewinne zu generieren, wird aber nur in sogenannten Handelsabkommen ermöglicht. Dazu steht sie! Dass dabei gesetzliche Regelungen in den von den USA unabhängigen verklagten Staaten außer Kraft gesetzt werden, hat mit einem funktionierenden freien Markt kaum noch etwas zu tun. Wie sehr ist die Novelli verblendet, oder einfach uninformiert was Demokratie angeht, wenn sie behauptet, „solche privaten Verhandlungen stünden nicht außerhalb der Gesetze und seien nicht illegitim“? Schließlich gibt es in jeder Demokratie eine Gewaltenteilung mit einer juristischen Unabhängigkeit. Wozu dann noch sogenannte unabhängige Schlichter in nicht transparenten und nicht öffentlichen Verfahren, gegen deren Urteile noch nicht einmal eine Revision oder Berufung möglich ist. Sie redet von einem „Goldstandard“ (für wen?) „der dem Rest der Welt zeigt, was die richtigen Parameter für ein Handels- und Investitionsabkommen sind“. Und diesen Goldstandard bestimmen die Wirtschaftsbosse beziehungsweise deren Lobbyisten. Und es ist einfach unverschämt zu behaupten, die USA hätten noch kein Schlichtungsverfahren verloren. Dabei übernehmen die gewählten Volksvertreter und Regierungen nur noch Statistenrollen, als Feigenblatt; Demokratie spielt hier keine Rolle mehr.

Wenn Novelli weiter behauptet, dass vor allem der Mittelstand („neben den großen Unternehmen“) profitiert, ist auch das nicht die Wahrheit, denn einige Gutachten sprechen dagegen, vor allem im Bereich der Landwirtschaft und auch in der Lebensmittelbranche. Stellt sich die Frage: Wird über TTIP und auch über den Vorläufer Ceta die Demokratie ausgehebelt, zu Gunsten der multinationalen Konzerne; sollen die Reichen den Krieg gegen die Armen gewinnen, wie Warren Beatty behauptet? Und welche Funktion übernimmt die ebenfalls nicht demokratisch gewählte EU-Kommission dabei?

ALBERT WAGNER, Bochum

Weder happy noch glücklich

■ betr.: „Oettinger wird Bildschirmschoner“, taz vom 11. 9. 14

Genauso wenig wie sich Günther Oettinger zum Bildschirmschoner eignet, genauso wenig bin ich happy oder glücklich über diese Entscheidung. Hier wurde der Esel zum Wächter über die Möhren gemacht. VOLKER MÖHRING, Minden

Es geht um Macht

■ betr.: „Doch noch Skrupel in letzter Sekunde“, taz vom 10. 9. 14

Bei der Betrachtung des Machtkonflikts zwischen der Nato und Russland sind allein Nüchternheit und Faktentreue wichtig. Wer immer wieder von Strafmaßnahmen, von Abstrafung oder gar Gnadenfrist redet, tut so, als ginge es hier um Lehrer und Schüler oder um Richter und Delinquent. Mit dieser hochmütigen Rhetorik wird überspielt, dass es für beide Seiten um Macht geht.

Ein Problem, das gern verschwiegen wird, ist die Nato-Osterweiterung bis hin zu einem Punkt, wo Russland sich bedroht fühlen muss. Außerdem hat der Westen als erster die Schlussakte von Helsinki verletzt, wonach Grenzen nur in beiderseitigem Einverständnis verändert werden dürfen. Nämlich als er Serbien wegen des Kosovo bombardierte und dann einseitig seine Unabhängigkeit anerkannte. Putins jetziges Verhalten war für jeden, der die politische Entwicklung genau beobachtet, vorhersehbar. Das macht ihn nicht besser. Aber der Westen ist nicht das Unschuldslamm, das hier den Richter spielen könnte. KLAUS-PETER LEHMANN, Augsburg

Medien könnten Alarm schlagen

■ betr.: „Treibhausgas. CO2-Konzentration steigt schneller denn je“, Kurzmeldung, taz vom 10. 9. 14

Die Weltorganisation für Meteorologie stellt in ihrem Jahresbericht fest, dass die CO2-Konzentration so stark gestiegen ist wie seit 30 Jahren nicht mehr. Dazu sind die Ozeane beispiellos übersäuert. Die Medien könnten jetzt Alarm schlagen, die „Tagesschau“ einen „Brennpunkt“ bringen.

Aber nach jahrzehntelangen Verhandlungen auf unzähligen sogenannten Weltklimagipfeln, auf denen nicht viel mehr als unverbindliche Absichtserklärungen verlesen wurden, ist das Interesse der Menschheit an ihrer eigenen Zukunft nur noch sehr gering. In den Tageszeitungen landen solche Meldungen, die deutlich machen, dass der Klima-GAU kommen wird, nur noch auf die hinteren Seiten. Auch der taz ist das Thema nur noch eine Kurzmitteilung wert. HARTMUT GRAF, Hamburg

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