Wachstum swingt an Bürgern vorbei

Trotz robust wachsender Wirtschaft bleibt der Aufschwung eine exklusive Veranstaltung: Konsumenten haben zwar mehr, aber zunehmend schlechter bezahlte Jobs. Die Früchte des Wachstums teilen Unternehmen und Vermögende unter sich auf

VON TARIK AHMIA

Deutschland steckt in einem robusten wirtschaftlichen Aufschwung – aber die Masse der Verbraucher profitiert nur wenig davon. Und daran wird sich wohl auf absehbare Zeit nichts ändern, schreiben Wirtschaftsforscher in einer neuen Konjunkturprognose für Deutschland. „Der Damm bei der Konsumnachfrage ist nicht gebrochen“, sagte Gustav Horn, der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), gestern. „Die Schere zwischen Löhnen und Unternehmensgewinnen wird auch in diesem und im nächsten Jahr weiter auseinander gehen.“

Gefühlsmäßig ist diese Botschaft bei den Menschen längst angekommen: 70 Prozent der Bundesbürger erwarten nicht, dass sich ihre wirtschaftliche Lage durch den Wirtschaftsaufschwung verbessern wird, ergab eine gestern veröffentlichte Forsa-Umfrage. Das lässt sich auch am Kaufverhalten der Bevölkerung ablesen: Der Umsatz des deutschen Einzelhandels ist erneut gesunken. Im Februar lag er real um 1,6 Prozent unter dem Wert des Vorjahresmonats.

Dabei wirken die Anzeichen der konjunkturellen Erholung imposant: Die deutsche Industrie ist bis zum Anschlag ausgelastet, auch die Arbeitslosigkeit ist noch nie so schnell gefallen wie in den vergangenen zwölf Monaten. Konjunkturmotor sind Unternehmen, die nach jahrelangem Verzicht nun wieder in Maschinen und Produktionsanlagen investieren. Unisono sind die Wirtschaftsforschungsinstitute davon überzeugt, dass es zunächst so weitergeht. „Es ist ein starker Aufschwung“, sagte IMK-Direktor Horn. Seine neue Wachstumsprognose liegt im Mittelfeld der Schätzungen anderer Institute: 2,2 Prozent soll das Bruttoinlandsprodukt, also die Summe aller im Inland produzierten Waren und Dienstleistungen, 2007 wachsen. Für 2008 sagt das IMK 2,1 Prozent voraus.

Forscher-Einigkeit herrscht auch darüber, dass sich der Arbeitsmarkt beleben wird: Um 710.000 auf 3,78 Millionen werde die Zahl der Erwerbslosen in diesem Jahr sinken, so Horn, 2008 könne sie auf 3,4 Millionen zurückgehen.

Doch die Hälfte der neuen Jobs entsteht bei Zeitarbeitsfirmen wie Randstad und Adecco. Langfristige Lebensplanung ist für diese Beschäftigten kaum möglich. Zudem sorgen Ich-AGs und Minijobs dafür, Beschäftigung und Löhne zu entkoppeln. Schon seit zehn Jahren bleiben die Löhne hinter den Produktivitätsfortschritten der Industrie zurück. Das so erwirtschaftete Geld ist in die Unternehmensgewinne geflossen.

Ein „volkswirtschaftlicher Fehler“, glaubt Horn. Denn unterm Strich habe die Lohnzurückhaltung nach IMK-Berechnungen in den vergangenen zehn Jahren knapp 600.000 Jobs gekostet. Horn fordert deshalb, den Produktivitätsfortschritt wieder gleichmäßig zwischen Löhnen und Gewinnen aufzuteilen: „Durchschnittliche Lohnsteigerungen von 3,5 Prozent sind verkraftbar.“

Dabei gehört der Konjunkturforscher zu jenen, die im vergangenen Herbst noch vor einem Einbruch der Konjunktur gewarnt hatten. Grund waren die Mehrwertsteuererhöhung und der politische Sparkurs. „Die Bundesregierung hat Glück gehabt in ihrem riskanten Spiel“, sagt Horn. Glück deshalb, weil der befürchtete Preisschock ausgeblieben ist. Das sei vor allem den im Vergleich zum Vorjahr niedrigen Energiepreisen zu verdanken. „Aber jede weltpolitische Krise kann das wieder ins Wanken bringen.“