Die Logik des Konventionellen

BAHNHOFSVORPLATZ Statt den Mut zu einem großen grünen Wurf aufzubringen, begeistern sich die Protagonisten einer Platz-Bebauung für gedoppelte Bürogebäude

Um 1860, als noch der Vorgängerbau des heutigen Hauptbahnhofs stand, galten weder viel Platz noch viel Grün vor dem Bahnhof als unpassend – wie die obige Lithografie aus der Werkstatt Krauss zeigt. Auch hundert Jahre später (Bild unten) hielt sich noch ein wenig Bewuchs auf dem Platz. Der Sprung in die Zukunft soll nach dem Willen der Beteiligten durch eine Gasse führen (Bild Mitte): Max Dudler plant zwei siebenstöckige Hochhäuser für den PlatzFotos: Focke-Museum (2), Büro Max Dudler (1)

Von HENNING BLEYL

Statt eines Passagengebäudes soll der Bahnhofsvorplatz mit zwei siebenstöckigen Büro- und Hotelhochhäusern bebaut werden. Sie sollen einen gassenförmigen Durchgang zum Bahnhof erlauben. Über diese neuerlich aktualisierten Planungen berät am 16. Mai der Beirat Mitte. Dem Stadtteilparlament wird nach Auskunft des Bauressorts ein wesentliches Mitspracherecht in Sachen Bahnhofsvorplatz zugestanden.

Die bisher bekannten Einschätzungen lassen darauf schließen, dass der Beirat die Pläne mehrheitlich gut heißen wird. Das jetzige Modell des Architekten Max Dudler stelle „wesentliche Verbesserungen“ im Vergleich zu dem kürzlich präsentierten Passagen-Modell dar, sagt Beiratssprecher Michael Rüppel (Grüne). Ortsamtsleiter Robert Bücking (Grüne) hält den Bau als „Hebel zur Stabilisierung und Entwicklung“ der Bahnhofsvorstadt für unerlässlich. Den Platz stattdessen als solchen zu gestalten, sei keine ernsthafte Alternative – für „etwas Schönes, Grünes, Schattiges“ sei die Fläche „nicht geeignet“. Lediglich in den Wallanlagen, so Bücking, „ist der Park so stark, dass er dem urbanen Druck gewachsen ist“. Im Übrigen existiere mit der tiefgelegten Rasenfläche vor dem Überseemuseum bereits so etwas wie „ein grüner See“.

Architekt Max Dudler geht in seinem Verdikt noch weiter: Den 10.000 Quadratmeter Teil des Platzes, der nicht von der Verkehrsinfrastruktur aufgefressen wird, primär als solchen und nicht als Baufläche nutzen zu wollen, sei „ein völlig falscher Gedanke“, so Dudler zur taz. Für eine Bepflanzung und Gestaltung etwa mit künstlerisch hochwertigen Skaterskulpturen sei der Platz schlichtweg „zu groß“.

Von einer geringen Wahrnehmung des Ortes und der Qualität seiner Weite zeugt allerdings der erst vor kurzem revidierte Entwurf Dudlers, der die Sicht auf das Bauensemble von Bahnhof und Überseemuseum von der Innenstadt her völlig verstellte und eine Zuwegung primär per Passage vorsah. „Unpassendes“ Publikum wäre dort im Zweifelsfall wohl an einem Sicherheitsdienst gescheitert.

Bereits vor dem Vorgängerbau des heutigen Bahnhofs, dem 1847 in Betrieb genommenen „Hannover‘schen Bahnhof“, dehnte sich ein weiter, mit Blumenrabatten, Büschen und Bäumen bestandener Platz. Durch den Bau von Museum, Zentralbad, Hotels und Postamt 5 verengte er sich auf heute 20.000 Quadratmeter, verfügte aber weiterhin über ausgedehnte Wiesenflächen.

■ Für die Expo 2000 wurden Zentraler Omnibusbahnhof, Straßenbahnhaltstellen und andere Serviceeinrichtungen neu angelegt. Die zur Expo-Eröffnung angestrebte Bebauung des Bahnhofsvorplatzes mit einer neuen Zentralbibliothek oder auch der Tchibo-Verwaltung scheiterte jedoch. Stattdessen wurde der Bahnhofsvorplatz ein Eldorado für Fahrradbügel. 2004 entstand zwischen den vier verbliebenen Bäumchen die provisorische Skateranlage.

■ Im Laufe der Zeit waren die meisten Branchen-Größen von Bilfinger&Berger über Hochtief und Walter-Bau bis hin zu Zech mit Bebauungsvorschlägen im Gespräch. Nachdem nun die in Buxtehude ansässige Albrecht Vermögensverwaltung auch aus dem Rennen ist, fokussiert sich das Verfahren auf den von Max Dudler vorgelegten Entwurf, der von der Hamburger „Achim Griese Treuhandgesellschaft“ mit 70 Millionen Euro finanziert werden soll. 5,9 davon gehen bei Vertragsabschluss an die Stadt für das Grundstück. Nach dem Scheitern diverser Ausschreibungsverfahren wird das Gelände nun „freihändig“ vergeben – allerdings „im Konsens mit den BremerInnen“, wie das Bauressort versichert. HB

Immerhin würde das Gebäude mit 5.800 Quadratmetern Grundfläche nicht ganz so groß, wie kürzlich auf der Grafik einer örtlichen Tageszeitung dargestellt – dort reichte der Bau bis unmittelbar an die Schienen- und Straßenbegrenzungen des Platzes heran. Andererseits werden die beiden Siebenstöcker mit Sicherheit kein so lauschig-menschliches Maß verströmen, wie sie es in der merkwürdig gestaucht wirkenden Animation tun, die derzeit als aktuellster Entwurf kursiert.

Die Frage, wie viel Platz nach einer „Platzrandbebauung“ tatsächlich übrig bleibt, ist in Bremen erst vor kurzem – en miniature – negativ beantwortet worden. Durch eine klare Raumkante „gefasst“ würde der Bredenplatz an Attraktivität gewinnen, hieß es bei der Präsentation der Pläne seitens des damaligen Senatsbaudirektors. Die faktisch verbliebene Restfläche dient heute als Parkplatz für die Hotel-Limousine.

Trotz ihrer maximal unterschiedlichen Dimensionen verbindet die beiden Plätze eine weitere strukturelle Ähnlichkeit: Ebenso wenig, wie Bremen ein weiteres Luxushotel auf dem Bredenplatz brauchte, benötigt die Bahnhofsvorstadt zusätzliche Büroflächen. Davon zeugen sowohl aktuelle als auch erst kürzlich überbrückte Leerstände in vielen markanten Bauten der unmittelbaren Umgebung.

Eine vom Bremer Zentrum für Baukultur (b.zb) veranstaltete Diskussion unter anderem mit Max Dudler und Senatsbaudirektor Höing findet am 10. Mai um 19 Uhr im „Roten Salon“ im Speicher XI statt. Titel: „Willkommen in Bremen! Zwei neue Häuser am Bahnhofsplatz“