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Archiv-Artikel

Wonne statt Wanne

1. Mai Tausende feiern und demonstrieren. Bis zum frühen Abend bleibt es friedlich. Thematischer Schwerpunkt der Proteste sind Stadtentwicklungs- und Mietenpolitik

1. Mai und Randale

■ Dem rot-roten Senat gelingt es seit 2002 zusehends, mit seinem Konzept der ausgestreckten Hand die Gewalt in der Walpurgisnacht und am 1. Mai einzudämmen. Für Polizeipräsident Dieter Glietsch, der das Konzept umgesetzt hat, war der gestrige 1. Mai der letzte im Amt. Er wird heute 64 Jahre alt und geht zum 1. Juni in Pension. Sein Nachfolger ist noch nicht bekannt.

■ Im Jahr 2010 waren die Mai-Ausschreitungen verglichen mit früheren Jahren weniger heftig. Dennoch wurden insgesamt knapp 490 Störer festgenommen und fast 100 Polizisten verletzt. (dpa, taz)

VON G. ASMUTH, S. BERGT, K. LITSCHKO UND P. PLARRE

Die Demonstrationen zum 1. Mai sind bis in die frühen Abendstunden friedlich geblieben. Insgesamt beteiligten sich weit mehr als zehntausend Menschen an den Protesten und Festen rund um den Tag der Arbeit.

Auf dem Kreuzberger Myfest feierten ab dem Nachmittag mehrere tausend Besucher. Auf 18 Bühnen rund um die Oranienstraße boten verschiedene Bands und Theatergruppen ein Unterhaltungsprogramm, Anwohner verkauften an Ständen Kulinarisches aus verschiedenen Ländern.

Das Fest war vor acht Jahren gegründet worden, um Ausschreitungen am 1. Mai vorzubeugen und ihnen eine friedliche Veranstaltung entgegenzusetzen. Die „Multikulturalität, die Musik und das Zusammensein“ sei es, was ihn auf das Fest treibe, erzählte ein Software-Ingenieur aus Friedrichshain. Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) bezeichnete es als „so voll wie nie“.

Bereits um halb fünf startete eine angekündigte Spontandemo am Rande des Festes auf dem Mariannenplatz. Mehrere hundert Menschen zogen von dort zum Kottbusser Tor. Die Teilnehmer trugen Transparente, auf denen sie unter anderem „Wohnraum für alle“ und „Stadt für alle“ forderten.

Die Besucher des Straßenfestes reagierten überrascht. Viele drückten ihre Freude darüber aus, dass am 1. Mai nicht nur gefeiert, sondern auch demonstriert wurde. Einige Besucher schlossen sich den überwiegend schwarz gekleideten Demonstranten an. Die Polizei griff nicht in die Demonstration ein, war aber mit zahlreichen zivilen Beamten vor Ort. Ausschreitungen gab es nicht.

An der Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die bereits um neun Uhr morgens begann, beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter über 10.000 Menschen (siehe Text unten).

Kurz nach Redaktionsschluss sollte die „Revolutionäre 1.-Mai-Demo“ starten. Hier hatte es vor zwei Jahren heftige Auseinandersetzungen zwischen Beteiligten und Polizisten gegeben, im vergangenen Jahr war es jedoch weitgehend ruhig geblieben.

„Es gibt da noch rechtliche Unsicherheiten“

EIN POLIZIST ÜBER DIE FEHLENDE INDIVIDUELLE KENNZEICHNUNG

Insgesamt waren 6.000 Polizisten aus mehreren Bundesländern im Einsatz. Entgegen den Erwartungen waren die Beamten allerdings nicht individuell durch Name oder Nummer gekennzeichnet. „Es gibt da noch rechtliche Unsicherheiten, da will man noch abwarten“, sagte ein Polizist und verwies auf ein laufendes Verfahren. Die Kennzeichnungspflicht war eigentlich zum 1. Januar in Kraft getreten. Schon zuvor hatte die Polizeigewerkschaften Klagen angekündigt.

Bereits am Vorabend des 1. Mai feierten 500 Besucher bei der „Antikapitalistischen Walpurgisnacht“ auf dem Wismarplatz in Friedrichshain. Parallel dazu demonstrierten bis zu 1.500 Menschen in Mitte und Prenzlauer Berg. Beide Veranstaltungen richteten sich in einem gemeinsamen Aufruf gegen Mieterhöhung und Vertreibung linker Projekte sowie für unkommerzielle Kultur und ein menschenwürdiges Leben.

Dass es nach dem Ende der „Antikapitalistischen Walpurgisnacht“ um 22 Uhr nicht zu den üblichen ausdauernden Rangeleien zwischen Besuchern der Veranstaltung und Polizisten kam, lag vor allem an dem musikalischen Faible der Besucher: Als Polizei, potenzielle Randaliere und Pressefotografen schon Stellung bezogen hatten für das erwartete Szenario, kam eine Blechblascombo vorbei und lockte die Menge an. Zwar wurden anschließend noch einige Papierhäufchen angezündet, Flaschen geworfen, und auch ein paar Böller knallten, doch der überwiegende Teil der Menge tanzte viel lieber, als sich mit der Polizei zu prügeln.

Die Polizei sprach später von 58 Festnahmen in der Nacht, in 13 Fällen seien Platzverweise erteilt worden. Ermittlungsverfahren seien unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung eingeleitet worden.

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