Harte Zeiten

Der Jurist Michael Lehner geht nach der DNA-Analyse davon aus, dass die Staatsanwaltschaft eine solide Kette von Indizien gegen den ehemaligen Radprofi Jan Ullrich präsentieren wird

VON STEFAN OSTERHAUS

Mit Erklärungen hatte Jan Ullrich noch vor ein paar Wochen im Fernsehen wortreich gegeizt, als er seine ganz persönliche Karnevalssaison eröffnete und wie nebenbei in einer beispiellosen Büttenrede samt Publikumsbeschimpfung seinen Rücktritt verkündete. Und auch jetzt, wo nach einer DNA-Analyse ein paar Indizien mehr aufgetaucht sind, die sehr schlüssig nahe legen, dass der Volksheld seine Erfolge nicht allein dem Einsatz von Buttermilch verdankt, ist von ihm zur Sache wenig zu hören.

Er lässt andere reden, am liebsten seine Anwälte. Gleich zwei prominente Verteidiger hat er aufgeboten, Peter-Michael Diestel und Johann Schwenn, der bereits relativ erfolglos den Leichtathletik-Trainer Thomas Springstein vertreten hat. Am Mittwoch jedenfalls ließ Ullrich den Anwalt Schwenn auf seiner Internetpräsenz mitteilen: „Die Verteidigung wird sich das Gutachten des Bundeskriminalamtes genau ansehen. Nach den Unregelmäßigkeiten im spanischen Verfahren und bei der UCI ist es gut möglich, dass der angebliche Befund die Folge von Manipulation ist. Jedenfalls besteht kein Grund, an der Verteidigungslinie für Jan Ullrich irgend etwas zu ändern.“

Das war’s schon. Mehr kommt nicht. Denn die Herren Diestel und Schwenn dürften einiges damit zu tun haben, allerlei Material zu sichten. Nach den jüngsten Nachrichten darf man sicher davon ausgehen, dass Ullrich beim spanischen Doktor Eufiamo Fuentes in Behandlung war, der viel versteht von Manipulation im Leistungssport. Zwar verweisen Ullrichs Anwälte auf die freie Arztwahl, und tatsächlich, so räumt der Heidelberger Jurist Michael Lehner ein, sei dies ein heikler Fall: „Wenn ich in einen Supermarkt gehe und ein Messer kaufe, heißt es noch nicht, dass eine Tötungsabsicht vorliegt.“ Eine Kette von Indizien müsse im Fall Ullrich zusammenkommen. Und Lehner glaubt daran, dass am Ende genügend Glieder reißfest zusammengefügt werden können. „Wenn er jetzt nicht die Notbremse zieht, dann droht ihm noch sehr viel Ungemach“, sagt Lehner. Es ist nicht nur das Verfahren der Bonner Staatsanwaltschaft, das auf Anzeige der Bielefelder Juristin Britta Banneberg gegen ihn läuft. Es lautet auf Betrug Ullrichs gegenüber seinem einstigen Arbeitgeber T-Mobile. Dort nahm man die Nachricht, dass Ullrich ein Kunde Fuentes’ gewesen ist, nicht sonderlich überrascht auf. Michael Lehner geht davon aus, dass der Dopingjäger Werner Franke die neuesten Ergebnisse nutzen wird, um seine Niederlage vor Gericht wettzumachen. Franke hatte Ullrich für gedopt erklärt, der Athlet hatte eine einstweilige Verfügung erwirkt.

Triumphale Gefühle sind Lehner allerdings fremd. In diesem Punkt, sagt er, sei er eben auch Athletenanwalt: „Er muss jetzt die Karten auf den Tisch legen. Und man sollte ihm diese Möglichkeit auch zugestehen, ohne Häme. Es nutzt wenig, weiter auf ihn einzuprügeln.“ Lehner wünscht Deutschlands bestem Radler nur eines: dass er besser beraten wird und mit nicht noch mehr Schaden aus der Sache herausgeht. Der Jurist geht davon aus, dass die Bonner Staatsanwaltschaft genügend Indizien zusammentragen wird, um Ullrich des Dopings überführen zu können – Pläne, die verraten, was im Training geschah, Planungen für die Rennen. Hartgesottene aus der Radsportgemeinde halten derweil felsenfest zu ihrem Helden. Gemäß den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit, wonach die Unschuldsvermutung so lange gilt, bis das Gegenteil erwiesen ist, nehmen sie dankbar den von Schwenn gestreuten Manipulationsverdacht auf. Sie sehen in Ullrich ein Opfer. Skurril, aber auch nicht so ganz verkehrt.